Ein altmodischer Thriller, der es seinem Publikum nicht zu einfach machen will. Ein Film, der seiner Geschichte Zeit gibt, sich zu entwickeln. Ein Krimi, in dem fast gar nicht geschossen wird und auch nur ein einziges Auto explodiert. Ein Film, der fast ganz von seinen Darsteller:innen lebt.
Der Hauptdarsteller mag einer der größten Filmstars dieses Jahrhunderts (so far) sein, er ist in jedem Fall einer von denen, die sich ihre Drehbücher längst sehr genau aussuchen können. Doch für diesen Film war er eigentlich „nur“ II. Wahl. Denn Denzel Washington hatte Bedenken, unter dem Newcomer Tony Gilroy zu arbeiten, für den der Film seine erste Regiearbeit gewesen ist. Für Clooney und Gilroy dagegen, hat sich ihr Engagement jeweils mit einer Nominierung für den Oscar ausgezahlt. Tatsächlich einen Oscar gewonnen hat Tilda Swinton, als beste Nebendarstellerin.
Der Film beginnt mit einem der großartigsten Monologe, an die ich mich erinnern kann (gesprochen von Tom Wilkinson), vor der schwarzen Leinwand, noch bevor die Credits des Vorspanns laufen. Mit den ersten Bildern, die dann folgen, werden wir noch während dieses Monologes eingeführt in die Welt dieses Filmes. Ein edles Büro in einem modernen, gläsernen Büroturm, Hauptquartier der Anwaltskanzlei „Kenner, Bach & Ledeen“.
Schon sind wir mitten drin.
Nun ließe sich ein Anwalts- oder Gerichtsdrama erwarten, wie wir schon viele kennen… und ganz falsch lägen wir mit dieser Erwartung nicht. Doch nimmt der Film eine andere Richtung als gewohnt, steuert nicht auf einen großen Showdown vor Gericht zu, sondern bleibt bei seinem Protagonisten, dem „Fixer“ der Kanzlei. Dem Mann, der Probleme löst, noch bevor sie eskalieren oder aufräumt, wenn sie schon eskaliert sind. Der Held, den gewöhnlich niemand kennt.
Hier eskaliert ein Prozess um eine Sammelklage von Geschädigten, gegen einen der größten und mächtigsten Chemiekonzerne des Planeten. Und wenn Sie dabei etwa an Bayer/Monsanto und das Umweltgift Glyphosat denken, dann stimmt Ihre Assoziation mit der meinen überein.
Der Film ist ein Erbe des legendären „Drei Tage des Condor“ – nicht nur weil dessen Regisseur Sydney Pollack hier einen seiner Ausflüge ins Schauspielfach macht, als jovialer Strippenzieher der Kanzlei. Clayton irrt durch New York wie einst Robert Redford und versucht herauszufinden, was ihm geschieht, wer hier über welche Leichen zu gehen bereit ist. Die Qual und der Schmerz, die Verzweiflung, die er dabei so mitreißend zeigt, die rühren von dem Wissen, dass es dasselbe Spiel ist, an dem er sowieso immer teilgenommen hat, nur nicht an so exponierter Stelle. Nun kann er nicht mehr. Dass einer das spielen kann, dem im richtigen Leben gerade alles gelingt – das ist Kinomagie.
Am Ende, wie am Anfang, geht es hier weniger um einen Fall vor Gericht, als um den Preis für Integrität und Moral im Kampf gegen die Macht des Kapitals. Wer gewinnt, spielt eigentlich keine Rolle. Nicht alle überleben.
„Michael Clayton“ ist ein Film, wie wir sie heute nur noch selten zu sehen bekommen. Ein Film, der langsam, nicht um spektakuläre Effekte bemüht, seinen Charakteren und seiner Geschichte Zeit gibt, sich zu entwickeln – und seinem Publikum die Zeit, sich darauf einzulassen.
Das alte Hollywood von der besten Sorte.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 22.11.2024.
Thriller, USA, 2007, FSK: ab 12, Regie & Drehbuch: Tony Gilroy, Produktion: Jennifer Fox, Kerry Orent, Sydney Pollack, Steve Samuels, Musik: James Newton Howard, Kamera: Robert Elswit, Schnitt: John Gilroy, Mit: George Clooney, Sean Cullen, Tom Wilkinson, Tilda Swinton, Sydney Pollack, Michael O’Keefe, Ken Howard, Denis O’Hare, Robert Prescott, Austin Williams, Merritt Wever, David Lansbury, Bill Raymond, David Zayas
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