Bei uns gibt es Heiligabend Fisch. Immer schon. Das ist eine überlieferte Familientradition. Aber sicher keine Leitkultur. Und ob Sie stattdessen Couscous oder vegane Bockwurst mit Kartoffelsalat zum Essen auftischen, macht im Ruhrgebiet eigentlich keinen Unterschied. Armin Rohde und Ludger Pistor kredenzen eben Schnitzel. Und das ist mir (immer wieder) ein Fest!
Alle Dortmunder:innen wissen: auf dem Hansaplatz steht keineswegs der größte Weihnachtsbaum Deutschlands. Dieses Monstrum deutscher Leitkultur ist in Wahrheit ein Frankensteinbaum.
Zusammengesetzt aus über 1.700 Rotfichten aus dem Wahlkreis im Hochsauerland, in welchem der Kandidat der Union es vermocht hat, mit immerhin 40 % der Erststimmen, in den letzten Bundestag gewählt zu werden.
Ob die planmäßige Entwaldung des Sauerlandes tatsächlich zu unserer deutschen Leitkultur gehört, wage ich anzuzweifeln. Es könnte aber tatsächlich sein, dass die Waldbäuerinnen aus Sundern ohne ihre Monokulturen in ähnlich prekäre Verhältnisse gedrängt würden, wie Günther Kuballa und Wolfgang Krettek, die Protagonisten dieses Weihnachtsfilms. Ihre Versuche, aus eben diesen Verhältnissen herauszukommen, ist im Wesentlichen der Kern ihrer Geschichten.
Günther und Wolfgang kämpfen in Dortmund seit 2010 um ihr pures ökonomisches Überleben, zwischen Jobcenter, Bürgergeld und halbseidenen Geschichten. Friedrich Merz erhielt in eben dem Jahr „5.000 Euro pro Tag auch samstags und sonntags (insgesamt 1.980.000 Euro für 396 Tage) für ‚erfolglose Arbeit‘ vom Steuerzahler“ – so steht es jedenfalls in der Wikipedia (den „ZDF Frontal“ Bericht dazu habe ich leider nicht mehr auftreiben können).
Mit 150.000 Euro – also dem Lohn eines zufälligen und keineswegs typischen Sauerländers für 30 Tage harter „Arbeit“ – hatten unsere Helden in der ersten Folge (2010) dieser kleinen Filmreihe (+Miniserie) zu tun. Und so wie die Euro-Beträge im Lauf der Jahre, für die beiden Freunde immer kleiner wurden, so sind sie doch daran gewachsen, und wurden so zu Figuren, von denen das deutsche Fernsehen echt nicht mehr viele hat.
Diese beiden selbstständigen Unternehmer verstehen zwar eine ganze Menge von Marktwirtschaft, doch werden sie sich wahrscheinlich kaum die Mitgliedsbeiträge für die IHK, geschweige denn, für die Mittelstands & Wirtschaftsunion der CDU leisten können. Für Politik haben sie gar keine Zeit. Und irgendwie ist das Verhältnis umgekehrt ja ganz dasselbe. Und darin, das merken Sie ganz von selbst, liegt fast die ganze Wahrheit und Tragik der ökonomischen bundesdeutschen Gegenwart.
So müssen wir hier zwar mit ansehen, wie Kuballa und Krettek – ausgerechnet zu Weihnachten – die gemeinsame Schnitzelbude aufgeben, doch die Zeit um in den Sonnenuntergang zu segeln war dann doch noch nicht gekommen. Stattdessen trugen sie das ihre zu einem kleinen Dortmunder Weihnachtswunder bei.
Weihnachtsfilme geben mir – im allgemeinen – nicht viel. Doch Sozialkomödien wie die „Schnitzel“ Reihe des WDR liebe ich einfach. Zu jeder Jahreszeit. Weil sie immer loyal zu ihren Protagonisten steht. Weil sie Menschen nicht diffamiert, sondern ihre prekären Verhältnisse halbwegs authentisch beschreibt. Und weil sie den anarchistischen Humor und die Menschen des Ruhrgebiets einzufangen versteht, ohne dabei auf billige Lacher auf Kosten ihrer Figuren zu setzen.
Hier dürfen sie lachen, auch weinen oder nur gerührt sein, von der Geschichte und den Menschen. Und am Ende schneit es. Kein Märchen. Aber schön!
Wenn Sie sich dieses Jahr nur einen Weihnachtsfilm ansehen können, dann nehmen Sie doch bitte diesen. ✨ 🎅
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 23.12.2023.
Fernsehfilm, Deutschland, 2022, FSK: 0, Regie: Wolfgang Murnberger, Drehbuch: Katja Kittendorf, Gabriele Graf, Musik: Stefan Bernheimer, Markus Gartner, Casting: Iris Baumüller, Kostümbild: Susa Sasserath, Szenenbild: Thomas Schmid, Schnitt: Guido Krajewski, Kamera: Peter von Haller, Produktion: Gabriele Graf, Redaktion: Götz Bolten, Mit: Armin Rohde, Ludger Pistor, Therese Hämer, Cristina Do Rego, Ramona Kunze-Libnow, Peter Franke, Jule Böwe, Ulrich Gebauer, Haley Louise Jones, Heike Trinker, Martina Eitner-Acheampong, Fediverse: @ArRo
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