David Lynch – „The Straight Story“ (1999)

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Eigentlich ist es unmöglich, über einen Film von David Lynch zu schreiben, ohne dabei auch tief in die eigene Seele zu schauen. Hier ist es eigentlich gar nicht anders. Und doch ist es ein Film, mit dem der große Surrealist des amerikanischen Kinos uns alle überrascht hat, weil er kaum wiederzuerkennen war.

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Filmtrailer zu „The Straight Story – Eine wahre Geschichte“ / Arthaus / YouTube

Der einzige von Lynchs Filmen, zu dem er das Drehbuch nicht selbst verfasst hat – es stammt von seiner damaligen Lebensgefährtin Mary Sweeney, die auch für den Schnitt der meisten seiner Filme verantwortlich war – kommt wirklich grundlegend anders daher, als alle seine anderen Werke. Und zwar so sehr, dass er nicht mal einer Altersbeschränkung unterliegt. Etwas, das tatsächlich bei allen anderen seiner Filme nicht mal entfernt auch nur theoretisch im Bereich des Möglichen gewesen wäre.

Lynch stieg einmal nicht in die Tiefe seiner eigenen dunklen und komplizierten Seele hinab, um amerikanische Geschichten zu erzählen, er nahm sich des Buches von Sweeney an, welches die durch und durch wahre Geschichte von Alvin Straight erzählt – und findet dazu eine Filmsprache, die tatsächlich linear und scheinbar geradeaus, also „straight“ und deshalb überraschend für ihn gewesen ist.

Die Geschichte ist so straight und anrührend, daß der Film in den USA von Walt Disney in den Verleih genommen wurde. Schnell war man sogar bei der Hand, den Film zu feiern als das Werk eines, der, nachdem er so lange Amerika als Hort des verborgenen Grauens durchreist hatte, nun heimgekehrt war ins Land der Väter und der in dieser Reise, die voller Verweise auf seine früheren Filme steckt, eine Selbstrevision per Leitfaden der Zärtlichkeit vorgenommen hätte. 

Georg Seeßlen – Das entflochtene Band, konkret 12/1999

Lesen Sie unbedingt die ganze Besprechung Seeßlens zu diesem Film. Dann erfahren Sie auch, dass unter der „Feel-Good“ Oberfläche dieses Roadmovies, all die ur-amerikanischen Tragödien und unverarbeiteten Traumata liegen, denen Lynch tatsächlich sein ganzes künstlerisches Leben auf der Spur gewesen ist.

Die „Straight-Story“ ist ein langsamer Film über das Sterben. Ein Film, den Sie, wie alle Filme Lynchs vielleicht zweimal oder sogar öfter sehen wollen – oder müssen. Denn er ist voll von Geschichten, denen es, trotz der scheinbaren Langsamkeit der Erzählung, an Dramatik nicht mangelt.

In der Dramatik des Alltäglichen unterscheidet sich Amerika von keinem anderen Ort in der Welt. Eine Aneinanderreihung von vermeintlich kleinen Begegnungen, unspektakulären, in ihrer Alltäglichkeit kaum wahrgenommenen und scheinbar sehr persönlichen Geschichten, wie aufgesammelt, am Rand der Straße. Und die große, von Alvin, seiner Tochter und seinem Bruder, die allen anderen einen Rahmen gibt.

Ist »The Straight Story« ein Film der Erlösung oder der Unversöhntheit? Es kommt darauf an, wie man ihn sieht. Alvins Reise in den Tod vermittelt manchmal pures Glück. Aber von dem, was er zurückläßt, geht kaum ein Trost aus. Es ist David Lynchs schönster Film, vielleicht auch sein grausamster. »The Straight Story« hat (beinahe) alle postmoderne Frivolität überwunden; das Reale lauert nicht mehr hinter den Kulissen, es ist der Kamera nur allzu nahe in Sprache und Körper. So nahe, daß jede Einstellung zu einer filmischen Überlegung zu Distanz und Intimität wird. Zu einer solchen Einfachheit in der Darstellung der menschlichen Tragödie und ihrer Komödie kommt man nicht auf geradem Weg. »The Straight Story« ist einer jener Filme, auf die das Kino lange Jahre hingearbeitet hat. Das cineastische Kunstwerk der neunziger Jahre, auf das es sich zu warten gelohnt hat.

Georg Seeßlen

„The Straight Story“ war auch für ihren Hauptdarsteller Richard Farnsworth († 2000) und Kameramann Freddie Francis († 2007) das Ende ihrer langen Reise und ihres Lebens für das Kino.

Mein halbes Leben liebe ich Lynch für „Die Geschichte von Lula und Sailor“, doch inzwischen habe auch ich ein Alter, in dem ein Mann schonmal nachdenklich wird und beginnt, all seine Geschichten noch einmal ganz neu zu sehen und zu verstehen. Das Unwichtige von sich fernzuhalten, wird wichtiger.

Einen John-Deere Händler haben wir am Ort.



Roadmovie, USA, 1999, FSK: ab 6, Regie: David Lynch, Drehbuch: John E. Roach, Mary Sweeney, Produktion: Neal Edelstein, Mary Sweeney, Musik: Angelo Badalamenti, Kamera: Freddie Francis, Schnitt: Mary Sweeney, Mit: Richard Farnsworth, Sissy Spacek, Harry Dean Stanton, Jane Galloway Heitz, Dan Flannery, Joseph A. Carpenter, Donald Wiegert, Ed Grennan, Jack Walsh, Everett McGill, Anastasia Webb, Barbara Robertson, James Cada, Sally Wingert, Wiley Harker, Kevin P. Farley, John Farley, John Lordan


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  1. @mediathekperlen großartiger Film. Hab ihn damals in Kino gesehen und seitdem viele Male auf DVD. Schön langsam.

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  2. @mediathekperlen Oh ein so wunderbarer Film! Gemeinsamkeiten mit dem übrigen Œuvre von Lynch sind tatsächlich schwer zu finden. Vielleicht die Musik und die Auswahl der Schauspieler. Der Hauptdarsteller ist großartig – dieser Blick! Leider ist ein Satz aus dem Film für ihn schnell tragische Realität geworden: Wir wissen nicht, wie lange wir noch leben (warum, das kann mensch anderswo nachlesen). Und das ahnte er bei den Dreharbeiten vermutlich auch.

    Angucken! #Film

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    1. @MartinK @mediathekperlen afaik wurde der Professor bei Futurama nach ihm benannt 😉

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      1. @langhaarschneider Das hat mich jetzt mal interessiert. Zumindest der Artikel in der EN-Wikipedia geht von anderen Vorbildern aus. Aber nichts genaues weiß man nicht.

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        1. @MartinK tut mir leid, ich hab leider beim googeln gerade auch nichts mehr dazu gefunden. Aber bin mir sicher das irgendwann irgendwo gelesen zu haben, dass Professor Farnsworths Name von Richard Farnsworth kommen soll…

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        2. Mediathekperlen

          Wenn es so gewesen sein sollte, wäre es in jedem Fall eine schöne Hommage. Und wenn nicht, wär’s immer noch eine schöne Möglichkeit gewesen. 😉

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        3. @mediathekperlen jep, sind ja beide ähnlich schrumpelig 😉

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