Franka Potente – „Home“ (2021)

Immer, wenn Schauspieler*innen, die wir so gut kennen, wie Frau Potente, auf die andere Seite der Kamera wechseln, ergibt sich eine besondere künstlerische Chance – und für sie immer auch ein besonderes Risiko. Für mich ist das Regiedebüt von Franka Potente ein absolutes Highlight der letzten deutschen (Corona-) Kinojahre.



Hier wurde ein Video von Youtube, einer Plattform von Alphabet (Google) eingebunden. Der Inhalt wird nur geladen, wenn sie zuvor einer Übertragung ihrer persönlichen Daten (ua. ihrer IP-Adresse) an die Plattform zustimmen. Klicken Sie auf dieses Cover, um den Inhalt anzuzeigen.

Erfahren Sie mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Ich stell‘ mir durchaus gelegentlich vor, Franka Potente wäre sowas wie die Freundin von Freunden. Ich stelle mir vor, wie wir uns gelegentlich über den Weg laufen – wie wir bei einer Dose Bier zusammensitzen, irgendwo in L.A., Berlin oder Dülmen, und sie erzählt von ihren Projekten, ich nicke verständig, gebe vielleicht mal einen halbklugen Gedanken dazu – aber in Wirklichkeit bin ich einfach nur froh, dass ich dabei sein und ihr zuhören darf. So wäre das wohl auch bei anderen Künstler:innen, deren Arbeit ich seit Jahrzehnten so gut kenne und bewundere.

Und genau deshalb war ich sehr gespannt auf ihren ersten Langfilm als Regisseurin: „Home“ (2021). Schon allein, weil der Film nicht in Deutschland, sondern in den USA spielt. Das ist spannend, denn es bringt automatisch einen anderen sozialen und kulturellen Kontext mit – so wie es auch bei Wim Wenders immer wieder der Fall war. Diese Idee vom „amerikanischen Film“, dieser Versuch, ihn zu umarmen, ohne sich selbst dabei selbst zu verlieren. Und was soll ich sagen? Ich wurde nicht enttäuscht.

Ganz im Gegenteil: Sie lebt schon lange in Los Angeles. Zieht dort ihre beiden Töchter groß. Und immer, wenn wir sie sehen, dann habe ich den Eindruck, sie bekommt das gut geregelt. Da bin ich fast ein bisschen froh, dass Franka – ich nenne sie jetzt einfach so – sich gegen ein großes Hollywood-Debüt entschieden hat. „Home“ ist kein lauter, auf Effekt gebürsteter Film. Es ist ein kleiner, zutiefst menschlicher, ruhiger, unglaublich kluger Film. Und das spürt man in jeder Szene. In jeder Einstellung. In jedem Blick.

„Als Regisseurin musst du ein Teamplayer sein. Das Tollste entsteht, wenn du geballt als Gang auftauchst.“

Franka Potente, FAZ, 31.07.2021

Genau so wirkt „Home“ auch: wie das Produkt einer eingeschworenen Gang. Einer Crew, die wusste, worauf sie hinauswollte. Die bereit war, sich auf die Geschichte einzulassen. Jake McLaughlin war für mich eine echte Entdeckung – dieser zurückgenommene, geerdete Auftritt hat mich beeindruckt. Und dann Kathy Bates… ich meine, Hallo?! Wer so eine Kollegin an seiner Seite hat, kann eigentlich nicht mehr viel falsch machen. Sie spielt, als sei sie Teil des Bodens, auf dem die Geschichte wächst. Keine Sekunde zu viel. Jede Szene mit ihr ein Geschenk.

Was den kulturellen Kontext betrifft, muss ich mich allerdings selbst korrigieren. Der Film hätte, ehrlich gesagt, auch in Norwegen, Neuseeland oder – ja, warum nicht – NRW spielen können. Denn was Home erzählt, ist universell: Es geht um Schuld. Um den Versuch, wieder zurückzukommen. Um die Frage, ob Vergebung möglich ist – und ob ein Mensch überhaupt darum bitten darf. Diese Themen brauchen keine Landesgrenzen, keine Nationalfarben. Sie betreffen uns alle.

Was mich aber wirklich umgehauen hat – und das ist so ein kleiner, liebevoller Moment im Film – war das Easter-Egg. Fast der ganze Film kommt ohne Musik aus. Und dann, ganz plötzlich: die fucking DONOTS! Aus Ibbenbüren. In einem amerikanischen Film. Ich habe laut gelacht, vielleicht auch ein bisschen gejubelt. Es war ein Gruß, direkt an uns im Münsterland, und ich habe mich seltsam verstanden gefühlt. Und zwar auf eine Art, die Kino sonst eher selten hinbekommt.

„Home“ ist bei mir übrigens seit der Erstausstrahlung gespeichert. Auf der Festplatte. Gut aufgehoben. Und ich weiß genau, dass ich ihn mir mindestens noch ein, zwei, dreimal ansehen werde. Weil dieser Film nachhallt. Weil er mich nicht in Ruhe lässt. Und weil ich immer wieder Neues entdecken werde.

Wenn Franka – unsere Freundin von Freunden – demnächst dann ihren nächsten Film macht, dann bin ich wieder da. Erste Reihe. Popcorn optional.

Erwartung hoch.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 13.12.2023.


Links: Die FAZ hat eine absurd tolle Fotostrecke in ihrer „Stil“ Rubrik mit einem mindestens ebenso tollen Interview der Regisseurin kombiniert und ebenfalls ein lesenswertes Interview mit Kathy Bates geführt. Da hat die Reise nach Los Angeles sich für die Reporter:innen so sehr gelohnt wie für ihre Leser:innen.



Spielfilm, Deutschland, USA, 2021, Buch & Regie: Franka Potente, Produktion: Jonas Katzenstein, Maximilian Leo, Musik: Volker Bertelmann, Kamera: Frank Griebe, Schnitt: Antje Zynga, Mit: Jake McLaughlin, Kathy Bates,  Aisling Franciosi, Derek Richardson, James Jordan, Lil Rel Howery, Stephen Root, Paul Cassell, Chelsea Gonzalez, Algerita Wynn, Jeff Elam, Samantha Clay, Bryn Vale, Katie McCabe, Fediverse: @filmeundserien



Reaktionen:

Wie bewerten Sie diesen Film / diese Serie?

Dieser Film / diese Serie wurde 1x im Durchschnitt mit 5 bewertet.

Bisher keine Bewertungen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie können diesen Beitrag auch über das Fediverse (zum Beispiel mit einem Konto auf einem Mastodon-Server) kommentieren.