Liam Neeson, Pierce Brosnan – „Seraphim Falls“ (2006)

Wer dreht eigentlich heute noch Western? Das Genre ist verstaubt, hauptsächlich klischeebeladen und lange nicht mehr zeitgemäß. In den letzten Jahrzehnten hat Hollywood lieber auf Superheld:innen, Action, Thriller oder Fantasy gesetzt – die Genres, die das junge Publikum und die internationalen Märkte ansprechen. Da war es, für ein Debüt, schon wieder mutig, einen Film zu machen, der ganz bewusst auf die klassischen Elemente setzt.



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Wenn wir an Western denken, kommen uns doch sofort staubige Prärien, rauchende Colts und klassische Helden in den Sinn – Filme, die wir eher mit der goldenen Ära Hollywoods verbinden als mit dem Kino von heute. Umso überraschter war ich über „Seraphim Falls“ von David Von Ancken, einen Western aus dem Jahr 2006. Und das nicht nur wegen der starken Besetzung mit Liam Neeson und Pierce Brosnan, sondern vor allem, weil er ein Genre wiederbelebt hat, das ich eigentlich längst für tot geritten gehalten habe. Eastwood ist schließlich auch schon 95, der steigt bestimmt nicht mehr in den Sattel.

Ich fand es spannend, dass Von Ancken genau dieses Risiko eingegangen ist. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem Film dieser Art kommerziell Erfolg zu haben, war nicht gerade groß. Der Film startete in den USA mit nur 52 Kopien – ein klares Zeichen, dass die Studios nicht wirklich an einen Erfolg glaubten.

Was mich besonders fasziniert hat: „Seraphim Falls“ war Von Anckens erster Spielfilm. Für einen Regisseur, der vorher vor allem für ungezählte Fernsehserien gearbeitet hat, war das ein gewaltiger Schritt – und dann gleich in diesem Genre und einer so düsteren Story. Ich bewunderte seinen Mut, sich nicht für einen Blockbuster entschieden zu haben, sondern für einen Film, der eher ein kleiner, langsamer, aber intensiver Thriller ist, bei dem die Rollen von „gut“ und „böse“ nicht vorgesehen sind.

Dass er es geschafft hat, Neeson und Brosnan für die Hauptrollen zu gewinnen, spricht Bände über seine Vision und Überzeugungskraft. Und Anjelica Huston, ok… die Frau, wenn auch nur in einem surrealen Cameo, repräsentiert sozusagen allein schon per Herkunft, den ganz alten Hollywood-Western-Adel. Sie zu besetzten… ’nuff said.

Und dann die Kameraarbeit von John Toll: Die Landschaft Nevadas wird hier nicht nur Kulisse, sondern neben Neeson und Brosnan ein ganz eigener Charakter – kaltes Gebirge, gnadenlos heiße Wüste, überwältigend und wunderschön zugleich. Für mich macht diese Kombination aus Starpower, visueller Pracht und beinahe tiefgründigem Drehbuch „Seraphim Falls“ zu einem Film, den ich nicht einfach so nebenbei schauen kann.

Dieser Film ist durchaus gewaltsam, das sollten Sie vorher wissen. Allerdings haben Sie bestimmt auch schon weitaus härtere Filme (auch Western) auf dem (ab 16) Sendeplatz gesehen. Anders ist hier: Er findet ein großartiges moralisches Ende, an das Sie sich möglicherweise sogar lange erinnern werden.

Der Kampf endet erst mit dem letzten Messer. Ein Symbol für das Scheitern aller moralischer Prinzipien und das sprichwörtliche Ende jeder Zivilisation. Die Grenze zwischen Recht und Unrecht, zwischen Gut und Böse, hat sich im Verlauf der Handlung vollständig aufgelöst. Die Protagonisten wurden so tief in ihre Obsessionen und ihren Hass verstrickt, dass ihnen (und uns?) jede moralische Orientierung verloren ging. Menschen, von Gewalt blind und dem Willen nach Vergeltung zerfressen. Dieses Messer ist kein Werkzeug mehr, um Recht zu schaffen, sondern wird zum stummen Zeugen und bleibt zurück. Zeugnis dafür, dass Menschen auch deshalb die Fähigkeit zur Vergebung gegeben ist, weil sonst nur noch Chaos und Tod bleiben.

Eigentlich ist dieser Film eine episch lange Meditation über Menschlichkeit, über das Recht auf Rache und die Suche nach einem Ausweg aus dem ewigen Kreislauf der Gewalt. Eine Botschaft, die wir eigentlich immer brauchen können.

„Seraphim Falls“ ist ein Beleg, dass der Western auch im 21. Jahrhundert noch lebt – wenn man(n) ihm nur die richtigen Zutaten gibt. Der Film ist kein nostalgisches Retro-Stück, sondern eine gnadenlose, manchmal fast schon metaphysische Jagd. Ein Film, der zeigt, dass Rache bitter und kalt ist, ganz wie der Winter in den Ruby Mountains.

Dass die Kritik diesen Film nicht geliebt hat, ist kein Grund, ihm nicht doch eine Chance zu geben.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 31.05.2025.



Western, USA, 2006, FSK: ab 16, Regie: David Von Ancken, Drehbuch: David Von Ancken, Abby Everett Jaques, Produktion: Stan Wlodkowski, Musik: Harry Gregson-Williams, Kamera: John Toll, Schnitt: Conrad Buff, Mit: Pierce Brosnan, Liam Neeson, Michael Wincott, Tom Noonan, Xander Berkeley, Ed Lauter, Anjelica Huston, Angie Harmon, Wes Studi, Fediverse: @filmeundserien, @3sat



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