Dieser Film von Coline Serreau aus dem Jahr 1989 ist ein kleiner Schatz. Auf den ersten Blick eine charmante Liebesgeschichte, auf den zweiten ein leises, aber deutliches Plädoyer gegen Rassismus, Kapitalismus und koloniale Kontinuitäten. Trotz Schulterpolstern und Synthiepop ist er insgesamt eigentlich gut gealtert – und tatsächlich mehr als nur eine niedliche französische RomCom aus einem anderen Jahrhundert.
Dass dieser kleine Film nicht in Vergessenheit gerät, liegt an Firmine Richard. Denn diese Frau aus Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe, hat in Paris ganz bodenständig als Postangestellte gearbeitet – ein Job, der eher selten als Sprungbrett zum Film gilt. Doch Coline Serreau sah in ihr eine Leinwandheldin. Und so wurde Richard quasi über Nacht zur Schauspielerin – eine Wandlung, die sich auch heute noch wie ein modernes Märchen anfühlt.
Und nach „Romuald et Juliette“ * ging es für Richard weiter steil bergauf: Sie wurde für den César als Beste Nachwuchsdarstellerin nominiert und zeigte in den Jahren danach, dass sie mehr ist als „nur“ eine starke Putzkraft im Kino. Sie spielte in „Hass“ (La Haine, 1995) mit, einem Film, der noch bis heute als Referenz für einen schonungslosen Blick auf den Rassismus in den Banlieues gilt. In „8 Frauen“ (2002) von François Ozon glänzte sie als resolute Haushälterin neben den größten Namen des französischen Kinos.
Dieser Film hat also das Leben seiner Hauptdarstellerin komplett auf den Kopf gestellt. Von der Frau, die in Paris täglich Diskriminierung erlebte, zur gefeierten Schauspielerin, die plötzlich nicht mehr unsichtbar war. Genau das ist das Thema – die unsichtbare Arbeit der Juliette, die stille Stärke, die übersehen wird. Hier traf sich Kunst und Wirklichkeit auf berührende Weise.
Richard engagierte sich später in sozialen Projekten, setzte sich für benachteiligte Jugendliche ein, trat immer wieder für antirassistische Anliegen auf. Sie war nie „nur“ Schauspielerin – sondern wurde auch eine Stimme für all jene, die in Frankreich oft übersehen oder marginalisiert werden. Sie wurde Mitglied des Pariser Stadtrats und unterstützte den Sozialisten François Hollande bei den Präsidentschaftswahlen 2012. Ihr Engagement für soziale Gerechtigkeit zeigte sich ebenso in ihrer Teilnahme an Projekten wie der Komödie „Gospel sur la colline“, die die Geschichte einer afroamerikanischen Gemeinde in Louisiana erzählt. Sie hat sich für die Förderung junger Talente eingesetzt und arbeitete an einem Kurzfilmprojekt über Bürger:innenrechte, bei dem sie nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Mentorin für junge Menschen fungierte.
Natürlich können wir dem Film heute vorwerfen, dass er ein bisschen zu sehr an Romualds Läuterungsgeschichte interessiert ist. Er hat einen deutlich paternalistischen Unterton, der immer mal wieder unangenehm durchschimmert. Romuald als „Retter“, Juliette als „Retterin“ – beides in einer für mich etwas zu simplen Form. Ich denke, das würde heute anders geschrieben und inszeniert. Juliette würde mehr Raum bekommen, ihre Stimme wäre lauter und ihre Welt weniger romantische Kulisse und mehr soziale Realität der Gesellschaft.
Aber dennoch hat „Romuald et Juliette“ etwas Zeitloses: eine Ehrlichkeit, eine Wärme, die ich in fast all den (hunderten?) RomComs so schmerzlich vermisst hab, die ich im Laufe meines Kino- und Fernsehlebens ertragen musste. Und seien wir ehrlich: Der 80er-Charme ist heute fast schon wieder hip. Die Musik, die Mode, die Frisuren – es wirkt fast wie ein ironischer Kommentar auf die Gegenwart. Während heute jede romantische Komödie perfekt gecastet, gestylt und gefiltert ist, zeigt „Romuald et Juliette“ noch echte Menschen mit echten Problemen. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich diesen Film immer wieder sehen kann. Er wirkt gerade dadurch, dass er nicht perfekt, sondern ein bisschen aus der Zeit gefallen ist.
Und er ist ein kleines Kino-Denkmal für eine besondere Schauspielerin, die bewiesen hat, wie viel positiven Einfluss auf die Gesellschaft eine einzige Rolle in einem kleinen Liebesfilm auslösen kann, wenn sie nur von der richtigen Frau gespielt wird.
* Über den deutschen Filmtitel „Milch und Schokolade“ sollten wir besser schweigen – eigentlich ist das rassistischer Kakao. Wie das passieren konnte, ist mir bis heute ein Rätsel.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 01.06.2025.
Romantische Komödie, Frankreich, 1989, FSK: ab 6, Regie: Coline Serreau, Drehbuch: Coline Serreau, Produktion: Philippe Carcassonne, Jean-Louis Piel, Musik: Jérôme Reese, Kamera: Jean-Noël Ferragut, Schnitt: Catherine Renault, Mit: Daniel Auteuil, Firmine Richard, Pierre Vernier, Maxime Leroux, Gilles Privat, Catherine Salviat, Muriel Combeau, Alexandre Basse, Aissatou Bah, Mamadou Bah, Marina M’Boa Ngong, Sambou Tati, Nicolas Serreau, Alain Tretout, Alain Fromager, Isabelle Carré, Jean-Christophe Itier, Tadie Tuene, Pascal N’Zonzi, Emile Abossolo M’bo, Akonio Dolo, Caroline Jacquin, Gilles Cohen, Carole Franck, Fabienne Chaudat, Yves Attal, José Garcia, Fediverse: @filmeundserien
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