Ein Film von David Fincher, nach einem Buch von Aaron Sorkin, über eine der umstrittensten Persönlichkeit der Gegenwart. Eigentlich ein „No-Brainer“, dass es sich dabei um ein Werk auf der Höhe seiner Zeit handelt. Doch vielleicht kam er einfach ein Jahrzehnt zu früh? Nichtsdestotrotz: Hoch sehenswert!
Ganz ehrlich: Als The Social Network (2010) in die Kinos kam, hatte ich kein dringendes Bedürfnis, den Film zu sehen. Ein Film über Mark Zuckerberg? Facebook? Diese damals schon latent unausstehliche Mischung aus Hoodie, Harvard und „Move fast and break things“? Danke, aber nein danke. Ich habe den Typ schon nicht leiden können, bevor es cool war ihn nicht leiden zu können.
Es war eine frühe Abwehrreaktion, damals noch unterbewusst, auf genau die Spezies Mann, die wir heute als „Tech-Bros“ (taz) kennen – und hassen. Rückblickend war das vielleicht naiv. Oder prophetisch. Denn während ich versuchte, diesem Film zu entkommen, krochen seine Protagonisten längst aus ihren Serverräumen und begannen, die Welt zu übernehmen.
Heute sind wir 15 Jahre älter, weiser, zynischer – und die Tech-Bros sind nicht nur reicher, sondern auch deutlich unheimlicher geworden. Ein paar Datenschutzskandale (Heise), manipulierte Wahlkämpfe (Zeit), Revolutionen (BpB) und algorithmisch verwaltete Völkermorde (Amnesty International) später, kontrollieren sie nicht mehr nur das Silicon Valley, sondern stecken knietief in der US-Politik oder sitzen gleich im Weißen Haus (taz). Der Präsident? Ein Handlanger ihrer Ideologie.
Aber klar, diese Entwicklung fiel ja nicht vom Himmel wie ein schlecht getimter Tesla-Raketenstart. Mark Zuckerberg, Elon Musk – die wären alle undenkbar ohne Peter Thiel. Der Mann, der PayPal mitgründete, es gewinnbringend vertickte und damit gleich eine ganze Generation von späteren Milliardären mit Startkapital versorgte.
Alles hängt mit allem zusammen, wie immer. Also zurück zum Anfang, zurück zum Ursprung dieser Dystopie, zurück, zu Finchers „The Social Network“, das 2010 noch als „mutig“ galt, weil es eine halbgare Heldenreise über echte Menschen erzählte, die echte Macht errangen – auf völlig (halb-)legalem, aber maximal unsympathischem Weg.
„This isn’t a documentary. Art isn’t about what happened.“
– Aaron Sorkin (Amy Lee: ‘The Social Network’: Fact Or Fiction? 2010)
Finchers Film war nie ein Dokumentarfilm, sondern ein Wirtschaftskrimi mit Harvard-Kulisse und einer Hauptfigur, die aussieht, als würde sie nie schlafen, aber ständig passiv-aggressiv twittern. Ob Jesse Eisenbergs Zuckerberg-Darstellung in die DSM-5 passt, ist dabei Nebensache – die Geschichte funktioniert auch ohne medizinische Etiketten.
Was leider fehlt: Alles ab 2005. Nur zwei Jahre später war Facebook größer als jede reale Freundschaft und Zuckerberg der jüngste Milliardär der Welt. Thiel machte aus 500.000 Dollar über eine Milliarde, blieb im Aufsichtsrat, gründete Palantir und begann, die US-Politik mit kaltem Geld zu fluten. Jay-Dee ist sein Zeuge und originäres Geschöpf.
Christian Ihle, mein Lieblingsblogger bei der taz (Monarchie und Alltag) schrieb zur Premiere des Films eine Kurzkritik, die ich hier deshalb ausführlich zitiere, weil ich sie nicht besser hätte schreiben können:
Allein schon der (…) gescheiterte Versuch, halbwegs verheißungsvoll den Inhalt von „The Social Network“ wiederzugeben, zeigt die Brillanz von David Finchers neuem Film: wie Fincher es dank eines hervorragenden Drehbuchs von Aaron Sorkin („Der Krieg des Charlie Wilson“, „West Wing“) gelingt, einen durchweg spannenden, mitreissenden Thriller aus einer Geschichte um einen Computernerd, der verklagt wird, zu machen, verblüfft. Nach dem missratenen „Benjamin Button“ ist „The Social Network“ eine Rückkehr zu jener Intensität, die Fincher von „Sieben“ über „Fight Club“ hin zu „Zodiac“ immer wieder auf die Leinwand brachte. Auch dank Jesse Eisenberg, der Mark Zuckerberg als einen Autisten auf Speed spielt, einer der besten Filme des Jahres.
– Christian Ihle, taz-blogs, 12.10.2012
Was „The Social Network“ dabei so bestechend gut macht – und weshalb wir ihn auch 15 Jahre später noch mit offenem Mund schauen können –, ist seine gnadenlose formale Präzision. David Fincher inszeniert mit chirurgischer Kälte, jede Szene wirkt bis ins letzte Pixel durchkomponiert, jeder Schnitt passt wie in einem Uhrwerk aus feinstem Edelstahl. Und Aaron Sorkin liefert dazu ein Drehbuch, das vor messerscharfen, rhythmisch aufgeladenen Dialogen nur so knistert. Es ist diese unverkennbare Sorkin-Signatur – Dialoge, die gleichzeitig intellektuell überhöht und emotional durchgeschleudert sind, wie etwa in der legendären Anfangsszene, in der Zuckerberg von seiner Freundin verlassen wird, während er in Echtzeit seine eigene soziale Inkompetenz debuggt:
„You’re going to go through life thinking that girls don’t like you because you’re a nerd. And I want you to know, from the bottom of my heart, that that won’t be true. It’ll be because you’re an asshole.“
– Filmzitat
Das ist nicht nur brillant geschrieben, das ist ein ganzes Psychogramm in einem einzigen Abschiedssatz. Mehr braucht es manchmal nicht, um eine Ära zu erklären.
Wenn Sie stattdessen lieber ein Feel-Good-Biopic über einen sympathischen Idealisten sehen wollen – warten Sie auf die Verfilmung von Eugen Rochkos Lebenswerk. Ohne den gäbe es diesen Text hier wahrscheinlich gar nicht – oder Sie würden ihn niemals lesen.
Doch wenn ich es mir aussuchen dürfte: Geben Sie mir lieber die Lebensgeschichte von Mike Macgirvin. Der hat nämlich nicht nur von außen auf das Silicon Valley geschaut, sondern von innen heraus Werkzeuge gegen die Monstrositäten von Facebook, Twitter und Co. entwickelt: Diaspora, Friendica, Hubzilla und Streams – Software, die auch im Fediverse fast niemand kennt, obwohl sie mächtiger sind als jedes Musk-Meme (und Mastodon!).
Du kannst keine 500 Millionen Freunde haben.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 11.01.2025.
Drama, USA, 2010, FSK: ab 12, Regie: David Fincher, Drehbuch: Aaron Sorkin, Produktion: Dana Brunetti, Ceán Chaffin, Michael de Luca, Scott Rudin, Musik: Trent Reznor, Atticus Ross, Kamera: Jeff Cronenweth, Schnitt: Kirk Baxter, Angus Wall, Mit: Jesse Eisenberg, Andrew Garfield, Justin Timberlake, Armie Hammer, Rashida Jones, Joseph Mazzello, Max Minghella, Wallace Langham, Brenda Song, Rooney Mara, Malese Jow, Douglas Urbanski, Denise Grayson, Patrick Mapel, Dakota Johnson, Trevor Wright, John Getz, Emma Fitzpatrick, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF
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