York-Fabian Raabe, Eugene Boateng, Christiane Paul – „Borga“ (2021)

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Machen wir uns nichts vor: „Borga“ ist als Spielfilmdebüt von York-Fabian Raabe zuallererst der Film eines weißen Deutschen. Der Film erzählt die Geschichte von Kojo, einem jungen Mann aus Ghana, der in Deutschland als vermeintlich erfolgreicher „Borga“ lebt. Das Wort steht für jene, die es angeblich geschafft haben – ein Symbol für Wohlstand, der allerdings auf einem fragilen Fundament steht.



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Raabe zeigt Migration nicht als individuelle Entscheidung oder gar „Abenteuer“, sondern als Resultat eines kolonialen und kapitalistischen Systems, das Menschen aus Afrika von vornherein benachteiligt. Wo viele Filme gern auf Klischees setzen, setzt „Borga“ (2021) auf Menschlichkeit und Komplexität. Sein Kojo ist keine eindimensionale Figur, sondern ein vielschichtiger Mann, der mit Rassismus, bürokratischen Hürden und dem dauernden Druck, immer funktionieren zu müssen, kämpft. Das ist wichtig – gerade, wenn „Migration“ auf Schlagworte reduziert wird.

„BORGA ist für mein Team und mich mehr als ein Film! Es ist eine Reise, eine Erfahrung, die uns, Ghanaer, Deutsche und Deutsch-Ghanaer, näher zusammengebracht hat.

Dies spiegelt sich auch im Titel wider: „Borga“ ist ein ghanaisches Wort, dass von dem deutschen Wort „Hamburg“ abgeleitet ist und „der reiche Onkel aus dem Ausland“ bedeutet. Mein Ziel war es, gemeinsam einen Film zu schaffen, der eine authentisch ghanaische Geschichte erzählt, mit der sich Menschen auf der ganzen Welt im Kern identifizieren können.

Dabei war es mir wichtig, eine Hauptfigur zu kreieren, die zwar Opfer ihrer Umstände ist, sich aber gleichzeitig ihnen nicht ergibt. Im Gegenteil: Es ist die Geschichte eines Menschen, der sich selbst „empowert“, dabei Fehler macht und aus ihnen lernt. Immer mit dem Ziel, die ihm begegnenden Missstände zu überwinden.

Ich hoffe, dass dieser Geist von Respekt vor und hinter der Kamera mitschwingt, und wir neue Perspektiven eröffnen können, die dazu führen, Menschen unterschiedlicher Herkunft näher zusammen zu bringen. Missstände zu überwinden.“

York-Fabian Raabe – Filmfestival Max Ophüls Preis, 2021

Der Film lebt von einer ruhigen Erzählweise und der fast dokumentarischen Kamera, die anscheinend authentische Einblicke in das Leben zwischen Accra und Mannheim gibt. Raabe hat all dieses Leben, die Überfülllung der Städte, die Hitze der afrikanischen Straßen, die riesigen (Gift-)Müllkippen einfangen, aber auch die kühlen, distanzierten, fast menschenfeindlichen deutschen Städte. Die Musik, afrikanische Sounds mit minimalistischer Atmosphäre, verstärkt diese Stimmungen, ohne sie zu dominieren oder gar exotisieren.

Eugene Boateng als Kojo gibt eine zurückhaltende Performance, mit aller Verletzlichkeit und der Last, die seine Rolle trägt. Das ist groß! Er macht Kojo zu einem Menschen, der zwischen den Welten gefangen ist – zwischen Hoffnung und Enttäuschung, zwischen Freiheit und Verpflichtung. Christiane Paul, die eine wichtige Nebenrolle einnimmt, bringt mit ihrer ruhigen Präsenz eine emotionale Ebene in den Film. Sie steht stellvertretend für die weiße Gesellschaft, die an den Lebensrealitäten von Migrant:innen so lange vorbeigeht, bis sie zutiefst persönlich davon betroffen wird. Eine weiße Retterin ist sie nicht. Das rettet wiederum den Film vor dem Klischee.

Bemerkenswert finde ich, wie „Borga“ die familiären Erwartungen thematisiert, die in anderen Spielfilmen, oft auch einschlägigen Krimis, meistens gar nicht wahrgenommen werden. Kojo ist nicht nur durch äußere Umstände getrieben, sondern auch von seiner Familie in Ghana. Ein Einzelschicksal, das aber repräsentativ für die soziale und ökonomische Realität ganzer Generationen junger Männer in Sub-Sahara-Afrika ist. Das erzeugt eine Spannung, die der Film mit Sensibilität erzählt. Sehnsucht, Scham und der Wunsch nach Anerkennung – das sind Themen, die weit über Migration hinausgehen und einfach universell und menschlich sind.

Zwischen Ghana und Deutschland: Mit seinem Debütfilm „Borga“ schließt York-Fabian Raabe eine klaffende Lücke im Migrationskino.

Arabella Wintermayr, taz, 27.10.2021

Was „Borga“ für mich auszeichnet, ist der Verzicht auf einfache Lösungen oder gar eine Heldengeschichte. Stattdessen zeigt er die Vielschichtigkeit von Migration: Hoffnungen, Träume, aber auch die scharfen gesellschaftlichen Grenzen und elementare Frustration. Und gerade deshalb ist der Film so relevant für die Debatte in Deutschland, die von Vereinfachungen und unerträglichem Populismus geprägt ist. „Borga“ will, dass wir endlich genauer hinsehen und die Geschichten und Zusammenhänge hinter den Schlagzeilen wahrnehmen und begreifen.

York-Fabian Raabe hat mit seinem Film ein Statement vorgelegt – eines, das Mut macht, Empathie fördert und zum Nachdenken anregt. Doch es bleibt immer auch der Film eines weißen, deutschen Europäers. Es bleibt ein Blick von außen. Realistisch, solidarisch, authentisch, kenntnisreich, aber eben doch eine Geschichte erzählt von jemandem, dessen eigene eine ganz andere ist.

Trotzdem oder gerade deshalb: Guter Film!

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 10.06.2025.



Spielfilm, Deutschland, Ghana, 2021, FSK: ab 12, Regie: York-Fabian Raabe, Drehbuch: York-Fabian Raabe, Toks Körner, Produktion: Alexander Wadouh, Elaine Niessner, Tommy Niessner, Roxana Richters, Musik: Tomer Moked, Ben Lukas Boysen, Mentrix, Kamera: Tobias von dem Borne, Schnitt: Bobby Good, Kaya Inan, Mit: Eugene Boateng, Christiane Paul, Lydia Forson, Adjetey Anang, Jude Arnold Kurankyi, Emmanuel Affadzi, Prince Kuhlmann, Ibrahima Sanogo, Joseph Otsiman, Thelma Buabeng, Jerry Kwarteng, Martin Stange, Helgi Schmid, Henning Peker, Devrim Lingnau, Solomon Anim, Jamal Baba, Ekow Blankson, Fediverse: @filmeundserien,



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