Es soll tatsächlich Kleingeister gegeben haben, die sich darüber erregen konnten, dass dieser Film Fehler enthalten würde, die erfahrenen Segler:innen so niemals passieren würden. Das mag vielleicht sogar wahr sein. Oder aber komplett egal. Denn was wir hier sehen, ist kein Segel-Tutorial, sondern ein großes Meisterwerk des Kinos. Ein Film, in dem überhaupt nur ganz wenige Worte fallen. Ein Film als Bühne für den großen Robert Redford, ein Boot und den Ozean.
In einer Zeit, in der viele Filme laut und schnell sein müssen, um sich überhaupt Aufmerksamkeit bei einem Publikum zu verschaffen, war „All Is Lost“ (2013) von J.C. Chandor ein großes Wunder: Ein minimalistisches, fast wortloses Drama, das einen alten Alleinsegler (Robert Redford) auf seinem beschädigten Boot im Indischen Ozean zeigt. Es ist ein sehr stiller, aber genau deshalb umso existenzieller Überlebenskampf.
Die Geschichte könnte kaum einfacher sein: Ein einsamer Segler wird mitten auf dem Ozean von einem treibenden Container überrascht, der sein Boot beschädigt. Fortan kämpft er gegen das Wasser, den Wind und seine eigenen schwindenden Kräfte. Namen, Hintergrundgeschichten oder Dialoge suchen wir vergeblich – Chandor und Redford ziehen ihr Publikum eigentlich ohne jede Erklärung mitten in diesen Überlebenskampf hinein. Das einzige, was wir von dem Protagonisten erfahren, erzählt er uns selbst, noch vor dem Beginn der Handlung, gleich am Anfang des Films:
13th of July, 4:50 pm. I’m sorry. I know that means little at this point, but I am. I tried, I think you would all agree that I tried. To be true, to be strong, to be kind, to love, to be right. But I wasn’t. And I know you knew this. In each of your ways. And I am sorry. All is lost here, except for soul and body, that is, what’s left of them, and a half day’s ration. It’s inexcusable really, I know that now. How it could have taken this long to admit that I’m not sure, but it did. I fought till the end. I’m not sure what that is worth, but know that I did. I have always hoped for more for you all. I will miss you. I’m sorry.
– Filmzitat
„All Is Lost“ ist viel mehr als nur ein „Survival-Thriller“. Es ist ein Film über Stille, über die Essenz des Menschseins. Robert Redford, damals 77 Jahre alt, verkörpert diesen Kampf mit einer unglaublichen physischen Präsenz. Jede Falte in seinem absolut großartig gealterten Gesicht, jede angespannte Bewegung erzählt mehr über ihn als tausend Worte.
Die Kamera von Frank G. DeMarco ist gnadenlos: Mit langen, ruhigen Einstellungen wird der Ozean nicht als bloße Kulisse, sondern als grandioser Mitspieler eingefangen, die Kajüte des Segelbootes, als klaustrophobisches Gefängnis. Das Sounddesign verzichtet fast völlig auf Musik. Alles was wir hören ist das Knarren des Bootes, das Rauschen der Wellen – mehr braucht es wirklich nicht, um atemlose Spannung aufzubauen. Und doch wirkt alles realistisch und unaufgeregt, ja, organisch – Chandor vermeidet konsequent wirklich jede Hollywood-Übertreibung.
Der Film steht in einer Reihe großer Überlebensfilme und wurde oft verglichen – doch sticht er mit seiner radikalen Reduktion heraus. In „Cast Away“ (2000) kämpft Tom Hanks als gestrandeter Robinson Crusoe um sein Leben, allerdings mit Rückblenden und langen Monologen, die die Figur emotional öffnen. Auch „Gravity“ (2013) von Alfonso Cuarón, zeitgleich in den Kinos, war ein unglaublich bildgewaltiger Rausch – mit Sandra Bullock im „Nichts“ des Weltalls. Im Vergleich zu Redford, hatte diese tatsächlich ein (dünnes) Dialogbuch, das sie lernen musste.
„Life of Pi“ (2012) von Ang Lee war ein anderer Kampf ums Überleben auf See – aber dort wurde das Abenteuer mit wahrhaftig märchenhafter Bildsprache und jeder Menge spirituellem Überbau verknüpft. „All Is Lost“ dagegen bleibt stocknüchtern und schmerzhaft realistisch, fast dokumentarisch. Kein Tiger an Bord, keine Selbstgespräche – nur ein Mann, sein Boot und das Meer. Geliebt habe ich den Film, wie die anderen. Aber „All is Lost“ hat mich über 2 Stunden lang gefesselt, richtiggehend fertig gemacht und im Kino danach völlig erschöpft zurückgelassen.
Redford, einst der Sunnyboy Hollywoods, zeigt hier ein spätes Meisterwerk: Jeder Atemzug, jede Bewegung ist geprägt von stoischer Ruhe und leiser Verzweiflung. Dass er für diese Rolle, zu skandalös großem Unrecht, nicht einmal eine Oscar-Nominierung erhielt, blieb mir bis heute ein verdammtes Rätsel. Selten war dieser Redford doch so eindringlich wie hier.
Für mich, der in den Mediatheken nach den Perlen im Ozean (sic!) des Durchschnitts sucht, ist „All Is Lost“ eine absolut gnadenlose Must-See-Mediathekperle. Der Film zeigt, wie große Geschichten auch ohne große Worte erzählt werden können. Er ist fordernd, meditativ – und in seiner Reduziertheit geradezu hypnotisch. Er erinnert uns, an all das, was Kino wirklich sein kann, aber nur noch selten sein darf.
Denn er stellt die große Frage: Was bleibt von uns und unserer durchtechnologisierten Welt, wenn alle „smarten“ Systeme versagen und wenn wir nichts mehr zu verlieren haben, außer unser Leben? Der namenlose Segler hat keine Biografie, keine Vergangenheit, keine Zukunft – nur den Willen, zu überleben. Genau das macht diesen Film so universell und zeitlos.
„All Is Lost“ ist ein Kinojuwel: Ein stilles, intensives Überlebensdrama, getragen von einem Redford in Höchstform. Für Freund:innen von Filmen, die sich darauf einlassen können, sich die Zeit nehmen und sich tatsächlich in eine andere Welt entführen lassen wollen, ist dieser Film eine absolute Empfehlung. In einer Ära, in der so viel geschrien wird, während um uns herum die Welt explodiert, ruft er uns in Erinnerung, dass auch Schweigen eine Sprache ist.
„Alles ist verloren. Außer Seele und Körper. Oder was davon noch übrig ist.“
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 13.06.2025.
Survival-Drama, USA, 2013, FSK: ab 12, Regie: J. C. Chandor, Drehbuch: J. C. Chandor, Produktion: Neal Dodson, Anna Gerb, Justin Nappi, Teddy Schwarzman, Musik: Alex Ebert, Kamera: Frank G. DeMarco, Peter Zuccarini, Schnitt: Pete Beaudreau, Mit: Robert Redford, Fediverse: @filmeundserien
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