Filme über UFOs haben für mich oft den faden Beigeschmack des Bekannten. Lichter am Himmel, hektische Wissenschaftler, das Spiel zwischen Glauben und Skepsis – wir kennen das alles. Auch dieser Film beginnt fast in dieser vertrauten Tonlage. Doch was sich als mysteriöser Sci-Fi-Thriller tarnt, entfaltet sich zunehmend als tieftrauriges, zutiefst menschliches Familiendrama – eine Überraschung.
Carl Strathie (Regie und Drehbuch) war kein Name, den ich kannte. Es gibt nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag über ihn. Und vielleicht ist gerade das die Überraschung hier. Der Film kam für mich quasi aus dem Nichts, als er im III. Programm des Bayerischen Rundfunks gelandet ist. Ob der Film überhaupt schonmal im deutschen Fernsehen gelaufen ist? Keine Ahnung. Vermutlich auf irgendeinem Spartenkanal irgendeiner Streamingplattform, die zu ignorieren mir allerdings noch nie schwergefallen ist.
Mit so rein gar keiner Information im Kopf komme ich ganz selten mal dazu einen Film zu sehen. Mich hat wirklich allein der Titel und das Wort „Außerirdische“ in dem Textfragment in der Mediathek angesprochen. Und auch der Film und Strathies Zugang zum SciFi-Genre ist erfrischend unaufgeregt. Ich fand kein Spektakel oder Popcorn-Schocks. Stattdessen einen geerdeten, leisen, suggestiven kleinen Mystery-Film mit offensichtlich außerirdischer Komponente.
„Dark Encounter“ (2019) lebt von Atmosphäre – und davon, was in seinen Schatten nicht gesagt wird: Ein Jahr nach dem spurlosen Verschwinden der achtjährigen Maisie trifft sich eine Familie wieder im Haus der Eltern. Die Wunden sind nicht verheilt, die Gespräche noch vorsichtig tastend, die Stille zwischen den Sätzen schwer. Als dann in der Nacht seltsame Lichtphänomene und unerklärliche Dinge rund um das abgelegene Anwesen geschehen, nimmt der Film Fahrt auf. Klar dachte ich da an Spielberg, an die ikonischen Lichter in „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977), an das naive Staunen über das Fremde. Doch anders als Spielberg, der in „Close Encounters“ die UFO-Thematik vor fast 50(!) Jahren noch mit einer fast kindlichen Neugier und einer techno-utopischen Hoffnung behandelt hat, schlägt „Dark Encounter“ eine ziemlich düstere, ja fast schon metaphysische(?) Richtung ein.
Wo Spielberg mit Großaufnahmen glänzt, mit orchestraler Musik, mit dem Blick in den Himmel, bleibt Strathie immer bodennah – im Wohnzimmer, im Flur, im Wald hinter dem Haus. Bei ihm ist das Unbekannte nicht das außerirdische Wesen, sondern das Unausgesprochene in der Familie, der Gemeinde. Das Trauma. Die Schuld. Die Lügen. Während Spielberg Menschen als neugierige Wesen im Angesicht des Unfassbaren inszeniert, zeigt Strathie sie als verletzliche, fehlerhafte Wesen, die mit der Wahrheit nicht immer umgehen können – selbst wenn diese vom Himmel fällt.
Besonders beeindruckt das Ensemble, allen voran Laura Fraser (Breaking Bad), die als Mutter Olivia eine stille, geerdete Performance abliefert. Sie spielt nicht – sie fühlt. Ihre Verzweiflung, ihre zähe Stärke, ihr Unvermögen, die Kontrolle zu behalten – das alles ist glaubhaft und berührend. Ebenso Mel Raido als Ehemann Ray, der hinter seiner Männlichkeitsfassade zunehmend bröckelt. Was die Darsteller:innen leisten, ist beeindruckend in ihrer subtilen Zurückhaltung. Es gibt kaum große Gesten, keine überzeichneten Konflikte. Es ist dieses völlig authentische Familienchaos – die Tragödie, der Schmerz, das Schweigen, der unterschwellige Groll –, das den Film so nahbar macht.
Auch die Kamera (Bart Sienkiewicz) ist bemerkenswert. Vieles spielt sich im Halbdunkel ab, im Zwielicht, mit langen Einstellungen, die fast kontemplativ wirken. Die Farbpalette – kalte Blautöne, warme Innenräume – unterstützt den Wechsel zwischen der familiären Intimität und der unheimlichen Außenwelt. Auch die Filmmusik (David Stone Hamilton) fällt nicht durch Bombast auf, sondern durch eine zurückhaltende, fast sphärische Klangkulisse, die eher ergänzt als dominiert. Die Musik legt sich wie Nebel über die Szenen, verdichtet die Atmosphäre, ohne sie zu erdrücken.
Am Ende ist „Dark Encounter“ überhaupt kein Sci-Fi-Film im klassischen Sinne, sondern ein klassisches Familiendrama mit einem außergewöhnlichen erzählerischen Kniff. Die Außerirdischen-Elemente sind nur Metapher, nicht Selbstzweck. „Science“ spielt gleich gar keine Rolle. Die Lichter, die Erscheinungen, die Phänomene – all das dient nur dazu, eine verdrängte Wahrheit zu entschlüsseln. Es geht nicht um das „Was“ oder „Wie“, sondern nur um das „Warum“. Und darin liegt die wahre Stärke des Films: in seiner Tiefe.
„Dark Encounter“ ist ein Mystery-Thriller, der sich aber nicht aufdrängt, der nicht schreit, sondern flüstert. Ich kannte ihn vorher nicht, habe auch nichts darüber gelesen. Und gerade deshalb trifft er mich tief. Wenn Sie den Film mit der Erwartung an ein Sci-Fi-Abenteuer einschalten, werden Sie enttäuscht. Wenn Sie sich aber auf eine emotionale, atmosphärisch dichte Auseinandersetzung mit tragischem Verlust, tiefer Schuld und endlicher Wahrheit einlassen können, werden Sie dafür möglicherweise belohnt.
Ein ziemlich guter kleiner Film. Für Leute, die so etwas mögen.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 14.06.2025.
Hinweis: Der Film thematisiert Kindesmissbrauch. Gewalt an Kindern wird nicht gezeigt, aber implizit angedeutet, was für manche Zuschauer*innen belastend oder retraumatisierend sein könnte. Bitte überlegen Sie, ob Sie sich dem Film und dieser Thematik aussetzen möchten.
Mystery-Science-Fiction, Großbritannien, 2019, FSK: ab 16, Regie: Carl Strathie, Drehbuch: Carl Strathie, Produktion: Carl Strathie, Alan Latham, Charlette Kilby, Musik: David Stone Hamilton, Kamera: Bart Sienkiewicz, Schnitt: Chris Timson, Mit: Mel Raido, Laura Fraser, Spike White, Sid Phoenix, Alice Lowe, Grant Masters, Vincent Regan, Nicholas Pinnock, Sean Knopp,
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