John Badham – „Saturday Night Fever“ (1977)

Ich bin tatsächlich immer noch überrascht davon, wie viel mehr dieser Film zu bieten hat als nur Discokugeln, weiße Anzüge, die ikonischen Bee Gees und das Grinsen Travoltas. Hinter der glitzernden Oberfläche dieses globalen popkulturellen Phänomens verbirgt sich ein erstaunlich düsteres, fast schon zynisches Porträt einer verlorenen Arbeiter:innenjugend im Brooklyn der 70er-Jahre.



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Der Film, der 1977 in die Kinos kam, ist heute ein Stück Zeitgeschichte – nicht nur, weil er Disco globalisiert hat, sondern weil er auch ein ziemlich ehrliches, widersprüchliches Bild von sozialer Stagnation, Männlichkeitskrisen und Rassismus zeichnet.

Dass „Saturday Night Fever“ (1977) diese Spannung zwischen Popästhetik und Lebensrealität nicht auflöst, sondern aushält, macht ihn nicht nur zu einem Meilenstein der Filmgeschichte, sondern auch zu einem ambivalenten und – bis heute oder heute wieder – politisch relevanten Werk.

Der Brite John Badham war nicht die erste Wahl für die Regie. Er übernahm das Projekt kurzfristig, nachdem der ursprüngliche Regisseur abgesprungen war – vielleicht auch deshalb war sein Zugang eher pragmatisch als stilisiert. Denn Badham hat keine Heldengeschichte erzählt, sondern den Finger in die Wunde einer desillusionierten Generation gelegt. Seine Kamera blieb oft auf Distanz, hat eher beobachtet als zu dramatisieren. Besonders in den Szenen außerhalb des Clubs dominiert eine kalte, fast dokumentarische Ästhetik. Die Straßen von Bay Ridge, einem damals mehrheitlich weißen, katholisch geprägten Arbeiterviertel in Brooklyn, wirken eng und abweisend. Die Perspektiven der jungen Männer, sind begrenzt, nicht nur räumlich, sondern auch sozial.

Der Protagonist Tony Manero, verkörpert von John Travolta, lebt in genau diesem Spannungsverhältnis: tagsüber Angestellter in einem Farbenladen, gedemütigt von einem autoritären Vater, nachts König der Tanzfläche. Travolta verkörpert diesen Tony mit einer Mischung aus Arroganz, Verletzlichkeit und ungefilterter Wut. Seine Körpersprache auf der Tanzfläche ist präzise und voller Energie. Keine Frage – die Choreografien sind einstudiert bis in die Fingerspitzen.

Doch sobald Travolta spricht, verliert seine Figur an Tiefe. Das lag weniger an seinem Spiel als am Drehbuch, das seine Rolle als archetypischen „Macho in der Krise“ angelegt hat und ihm wenig Spielraum zur Nuancierung ließ. Besonders in den Szenen, in denen sich Tony gegenüber Frauen oder Jugendlichen abfällig verhält, gelang es dem Film nicht, diese Haltung kritisch zu rahmen. Travolta spielt nicht gegen, sondern in die toxischen Strukturen hinein – und das Publikum blieb allein mit der Aufgabe, Distanz zu wahren. Dass das für viele damals eine zu große Herausforderung war, hat die Geschichte gezeigt. Der Typ wurde als Vorbild gefeiert, statt bedauert.

Dabei basiert der Film auf einem angeblich dokumentarischen Artikel über das New Yorker Nachtleben, dessen Wahrheitsgehalt später infrage gestellt wurde. Was bleibt, ist eine fiktionale Erzählung mit starkem Anspruch auf Authentizität. Und genau in dieser Reibung entfaltet „Saturday Night Fever“ seine politische Sprengkraft: Der Film zeigt, vereinfacht aber ziemlich ungeschönt, wie die amerikanische Arbeiter:innenschicht der 70er-Jahre unter wirtschaftlicher Stagnation, Perspektivlosigkeit und patriarchalen Strukturen litt – ohne dieses Leid explizit benennen zu müssen.

Die Charaktere sind weder Held:innen noch Opfer, sondern Produkte eines Systems, das sie emotional verrohen lässt. Sexismus, Homophobie, Gewalt und Rassismus durchziehen den Film – nicht als Stilmittel, sondern als Teil einer sozialen Realität, die der Film offenlegt, aber nicht verklärt. Dass dabei nicht jeder problematische Moment kritisch kommentiert wird, ist heute wirklich schwer auszuhalten, aber vielleicht auch ein Ausdruck von Ehrlichkeit.

Der Soundtrack von „Saturday Night Fever“, vor allem die Lieder der Bee Gees, ist legendär – und das völlig zu Recht. Stücke wie „Stayin’ Alive“, „Night Fever“ oder „More Than a Woman“ sind nicht bloß Begleitmusik, sie strukturieren den Film emotional und rhythmisch. Die Musik ist hier kein Ornament, sondern ein Fluchtpunkt. Inmitten der sozialen Tristesse werden die Disco-Nächte zur Projektionsfläche für Selbstwirksamkeit. Was draußen nicht möglich ist – Anerkennung, Begehrtheit, Kontrolle – wird auf dem Parkett verhandelt.

Dass der Soundtrack ein weltweiter Erfolg wurde und Disco vom subkulturellen Queer- und Black-Space in die weiße Mehrheitsgesellschaft katapultierte, hatte ambivalente Folgen. Auf der einen Seite machte der Film Disco massentauglich, auf der anderen Seite wurde seine queere und schwarze Ursprungskultur quasi unsichtbar gemacht. Der Club im Film ist ein rein weißer, heteronormativer Raum – was die historische Realität nicht nur ignoriert, sondern auslöscht. Diese kulturelle Aneignung ist Teil der Geschichte des Films, auch wenn sie nicht Thema seiner Handlung ist.

Trotzdem war der Einfluss des Films auf die Popkultur enorm. Die Bee Gees, vor dem Film eher als australisches Schmuse-Trio bekannt, wurden plötzlich zu Disco-Ikonen. Ihre falsettgetränkten Songs dominierten die Charts und beeinflussten eine ganze Generation von Künstler:innen. Auch modisch und tänzerisch setzte „Saturday Night Fever“ Standards: der weiße Anzug, das gestreckte Bein, der ausgestreckte Arm – all das wurde zum neuen urbanen Lifestyle. Dass dieser Lebensstil, ich persönlich fand ihn furchtbar, ausgerechnet aus einer Erzählung über soziale Ausgrenzung hervorging, ist ein Beleg für die Komplexität dieses Films. Er wurde gefeiert, missverstanden, parodiert – und ist trotzdem nicht totzukriegen.

Wenn ich heute auf den Film blicke, sehe ich nicht nur 70er-Nostalgie, sondern einen Film, der viele Fragen aufwirft und sehr nur wenige beantwortet. Er romantisiert nichts, auch wenn er immer wieder ins Stylisierte kippt. Er zeigt keine Lösungen, nur Symptome. Vielleicht liegt gerade da seine Stärke. „Saturday Night Fever“ ist ein Spiegel für Brüche: die Lücke zwischen Generationen, das Scheitern traditioneller Männlichkeitsentwürfe, die Unmöglichkeit von sozialem Aufstieg. Die Flucht in den Tanz ist hier keine Heilungs-, sondern eine Überlebensstrategie.

Wenn ich den Film nach all der langen Zeit mit einem anderen, popkulturell ähnlich lange wirksamen vergleichen sollte, dann würde mir zum Beispiel „The Fast and the Furious“ einfallen. Ersetzen Sie Musik und Disco durch Autos und PS, halten Sie die Männlichkeitsbilder nebeneinander und vergleichen Sie das mit dem Abstand von ein paar Jahrzehnten. Dann sehen Sie, was ich meine.

Doch John Badham gelang es, anders als den Autofetischisten, seine Balance zu halten – zwischen Milieustudie und Popeskapismus, zwischen Kritik und Mythos. Dass Travolta dabei mehr Figur als Charakter blieb, war nicht unbedingt Schuld des Darstellers, sondern Ausdruck eines filmischen Konzepts, das Emotion über Psychologie gestellt hat. Er funktioniert als Spiegel für ein Gesellschaftsbild, das sich gegen Veränderung sträubt.

„Saturday Night Fever“ ist deshalb alles andere als ein Feelgood-Movie, auch wenn er jahrzehntelang so vermarktet und verstanden wurde. Er ist ein Film über verlorene Träume und fragile Identitäten. Dass er dabei nie ins Mitleid rutscht, sondern seine Härte behält, macht ihn heute tatsächlich wieder relevant – gerade in einer Zeit, in der soziale Ungleichheit, Männlichkeitskrisen und kulturelle Aneignung in den USA kaum noch offen diskutiert und verhandelt werden. Dass all das durch Disco-Beats erzählt wird, ist kein Widerspruch.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 22.06.2025.


Inhaltswarnung: Der Film enthält explizite Darstellungen und Andeutungen von sexualisierter Gewalt, Sexismus, Rassismus, Homofeindlichkeit, Suizid sowie psychischer und physischer Gewalt im familiären und sozialen Umfeld. Der Film benutzt mehrfach diskriminierende Sprache und zeigt übergriffiges Verhalten, ohne diese kritisch einzuordnen. Die Darstellung männlicher Gewalt und patriarchaler Strukturen kann belastend wirken. Besonders betroffene Zuschauer:innen sollten sich vor dem Ansehen des Films über diese Inhalte bewusst sein.



Musikfilm, USA, 1977, FSK: ab 12, Regie: John Badham, Drehbuch: Norman Wexler, Produktion: Robert Stigwood, Musik: Barry Gibb, Maurice Gibb, Robin Gibb, David Shire, Kamera: Ralf D. Bode, Schnitt: David Rawlins, Mit: John Travolta, Karen Lynn Gorney, Donna Pescow, Barry Miller, Joseph Cali, Paul Pape, Bruce Ornstein, Val Bisoglio, Julie Bovasso, Martin Shakar, Sam Coppola, Fediverse: @filmeundserien, @3sat



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