Ein Film über ein Land, das von uns gern als „glücklichstes der Welt“ verklärt wird – ohne zu fragen, wer dieses Glück eigentlich misst, wem es nützt und wer davon ausgeschlossen bleibt. Bhutan vermarktet ein Image zwischen Öko-Utopie und spirituellem Sonderweg. Pawo Choyning Dorji unterläuft diese Erzählung nicht frontal, aber subversiv – mit trockenem Humor und beharrlicher Langsamkeit…
Demokratie ist ein kompliziertes Ding. Vor allem, wenn kein Mensch jemals eine Wahl hatte. Das müssen sie also erstmal üben. Dafür werden Testwahlen organisiert. In einem Land, in dem ein Fernseher zwei Kühe kostet. „Money for nothing and chicks for free“, MTV, James Bond und Coca-Cola sind schon da. Daran ist alles exotisch, aber rein gar nichts absurd. „Woher wollen wir wissen, ob Demokratie gut für uns sein wird?“, fragt ein Mönch.
Wir erleben, wie auch das Leben sich verändert: Ein Fernseher wird installiert, eine Schülerin verliert ihr Radiergummi und schreibt einen Aufsatz über Demokratie, der nicht ganz den Erwartungen entspricht. Der Fortschritt hat keinen Plan, aber eine Richtung.
„Wenn die Regierung kein Glück für ihr Volk schaffen kann, dann gibt es keinen Grund für die Existenz der Regierung.“
– A Compass Towards a Just and Harmonious Society, Bhutan, 2016
Pawo Choyning Dorjis Film ist keine Geschichtsstunde, sondern eine subtile politische Komödie. Eine Regierungsbeamte reist ins Hochland, um Wahlkabinen zu verteilen und mit dem Volk die Demokratie zu üben. Doch die Idee der Wahl stößt auf höfliche Irritation. Ein alter und weiser Lama schickt seinen jungen Novizen auf eine Mission: Er soll zwei Gewehre beschaffen. Warum, bleibt zunächst offen. Parallel dazu versucht ein amerikanischer Waffensammler, eine alte seltene Büchse ausfindig zu machen – und stößt dabei auf lokale Realitäten, die sich seiner kolonialen Logik total entziehen.
Dorji verbindet diese Erzählstränge mit leiser Ironie und großer Präzision. Der Film hat kein Epos nötig, kein Drama, keine Lektion. Seine Stärke liegt im Detail: in Blicken, in schweigenden Pausen, in falsch übersetzten Begriffen wie „People’s Power“. Demokratie wird hier nicht verteufelt, aber auch nicht verklärt. Sie erscheint als exportiertes Konzept, das durch ein spirituelles Gefüge gejagt wird, das ganz anders funktioniert: Das auf Vertrauen basiert, auf Ritualen, auf Autorität, die sich nicht aus Stimmen, sondern aus Haltung speist.
„Was will der Lama mit dem Gewehr“ (2023) erzählt diese Reise ohne Pathos. Visuell ist der Film zurückhaltend und klar. Jigme Tenzings Kamera beobachtet mit großem Respekt – für die Gesichter, die Landschaft, die Widersprüche. Keine überästhetisierten Postkartenbilder, kein Ethnokitsch. Die Farben sind erdig, das Licht weich, die Räume spärlich. Der Schnitt lässt Stille zu. Die Laiendarsteller:innen spielen ohne Pose, oft mit einem trockenen Humor, der aus echter Irritation entsteht: Was soll dieses Wahlsystem eigentlich von uns?
Auch die Dialoge tragen diese Klarheit: schlicht, fast beiläufig, manchmal improvisiert wirkend. Es wird nicht erklärt, nicht betont. Die Figuren sprechen, wie Menschen sprechen, wenn niemand zuhört. Das verleiht der Erzählung eine glaubwürdige Intimität, einen ruhigen Rhythmus, der sich vom westlichen Dramaturgiedruck befreit. Die Laiendarsteller:innen – allen voran Tandin Wangchuk als Mönch – spielen mit stoischer Würde und einem feinen Gespür für Situationskomik. Es ist kein „Schauspiel“ im klassischen Sinn, sondern Präsenz. Wir können ihnen glauben, weil sie nicht performen.
Das ist wirklich selten.
„Was will der Lama mit dem Gewehr?“ ist eine politische Farce ganz ohne Zynismus. Ein Film über ein Land im Übergang, über Glaubenssysteme und Governance, über Unübersetzbarkeit und Anpassung. Er verweigert sich der Versuchung, Bhutan als exotische Ausnahmekultur zu feiern – und zeigt es stattdessen als Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen staatlichem Reformwillen und religiöser Intuition.
Bhutans Weg zur Demokratie (DLF-Kultur) gilt als vorbildlich: eine Monarchie, die freiwillig Macht abgibt, ein König, der sich selbst zurücknimmt. Doch der Film zeigt, wie wenig davon unten ankommt. Staatliche Strukturen wirken hier noch wie fernsteuerbare Systeme, nicht wie demokratisch kontrollierte Prozesse. Die Regeln kommen per Fernseher. Niemand ist böse, niemand korrupt. Selbst ein amerikanischer Waffenhändler, sozusagen „unser“ westlicher Identifikationsanker in der Geschichte, ist allerhöchstens ein kleines bisschen suspekt. Aber das macht es nicht besser.
Das Bruttonationalglück, das Bhutan als politische Vision verkauft, ist im Film zwar präsent, aber nicht spürbar. Glück ist – wie die Demokratie – kein Zustand, sondern ein Ziel, das per Regierungsbeschluss eingefordert wird. Dass Dorji diese Widersprüche nicht ausstellt, sondern ganz beiläufig durchspielt, ist seine größte Stärke. Er zeigt, wie das Versprechen auf Glück zu einer stillen Norm wird – und wie wenig Raum bleibt für Widerspruch, wenn selbst der Protest als Unzufriedenheit und als schlecht für das eigene Karma gewertet werden könnte.
Dieser Film ist weder Satire noch Farce: Es ist das Porträt eines Landes, das versucht, modern zu sein, ohne sich selbst zu verlieren. Ein Film über Ordnung, die sich für Glück ausgibt. Über eine Bevölkerung, die mit großer Geduld auf das nächste Missverständnis wartet. Und ein Film, der uns einen ziemlich präzisen Spiegel vorhält über die Rituale der Demokratie. Bis zur Selbsterkenntlichkeit verfremdet, sozusagen. Und genau deshalb unbedingt lehrreich!
Ein unglaublich feiner, kleiner Film… mich hat er für eine Weile tatsächlich glücklich gemacht.
Und Gelb ist eine ganz wunderbare Farbe.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 11.07.2025.
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Der Film zeigt weder Gewalt noch Übergriffe, keine explizite Sprache oder sexualisierte Inhalte. Seine Kritik entfaltet sich leise – über Strukturen, feine Gesten und Tradition, nicht über Schockmomente.
Komödie, Bhutan, 2023, FSK: ab 0, Regie: Pawo Choyning Dorji, Drehbuch: Pawo Choyning Dorji, Produktion: Dangphu Dingphu, Musik: Tandin Sonam, Kamera: Jigme Tenzing, Schnitt: Hsiao-Yun Ku, Mit: Tandin Wangchuk, Pema Zangmo Sherpa, Deki Lhamo, Yonten Jungney, Ngawang Tenzin, Fediverse: @filmeundserien
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