Dieser Film ist weit mehr als eine Komödie – er ist ein vielschichtiges Sozialdrama, das die tiefgreifenden ökonomischen und gesellschaftlichen Ungleichheiten (nicht nur) in Frankreich thematisiert, dabei sein knallhartes Thema aber subversiv und geschickt mit unglaublichem Humor und Leichtigkeit erzählt. Ein internationaler Blockbuster war er außerdem.
Olivier Nakache und Éric Toledano sind keine Revolutionäre. Sie zünden keine Paläste an, tragen keine gelben Westen, und doch ist ihr Blick auf die Gesellschaft ein äußerst klarer – und ihre Kunst durchdrungen von einem tiefen politischen Bewusstsein. Sie erzählen keine lauten, wütenden Geschichten. Sie machen nur Filme. Und die werden manchmal größer als das Leben.
Die beiden Franzosen zeichnen feine Linien zwischen den Extremen – wie in „Ziemlich beste Freunde“ (2011), dieser zugleich leichten und schweren Geschichte über zwei Männer, die unterschiedlicher kaum sein könnten und sich dennoch – oder gerade deswegen – begegnen.
Mich hat dieser Film lange beschäftigt. Nicht, weil er laut mit dem Finger auf soziale Ungerechtigkeit zeigt, sondern weil er ein Bild zeichnet, das mich nicht mehr loslässt: Zwei Menschen, zwei Welten – ein reiches, weißes Leben hinter hohen Mauern im Herzen von Paris, und ein junger Schwarzer aus der Banlieue, aus jenem anderen Frankreich, das so oft nur am Rand der Erzählung vorkommt – und wenn es vorkommt, dann als Beschreibung der Hölle selbst.
Natürlich sind Philippe und Driss Klischees – bewusst gesetzte und überzeichnete Archetypen. Und gerade deshalb funktionieren sie so gut. Weil sie etwas verdichten, was im Alltag oft nur unterschwellig spürbar ist: die scharfe Trennung der Lebensrealitäten, der Habenden und der Habenichtse. Ich musste unweigerlich an unsere Städte denken – auch bei uns liegen zwischen einem Villenviertel und einem Plattenbau oft nur zehn Straßen, aber ganze Welten. Der Film zeigt genau das: Diese Welten berühren sich normalerweise nicht. Und wenn sie es tun, dann selten auf Augenhöhe.
Driss lebt mit seiner Familie beengt, sein Alltag ist geprägt von Unsicherheit und Notwendigkeit. Philippe dagegen lebt in einem Palast. Im wahrsten Sinne des Wortes. Bedienstete, Sicherheit, Stille. Und zugleich eine völlige Abhängigkeit – seine körperliche Einschränkung zwingt ihn, sich helfen zu lassen. Was für eine symbolisch aufgeladene Ausgangssituation: Der Schwarze wird zum Pfleger des Weißen. Eine Konstellation, die schwer an koloniale Hierarchien erinnert – und genau deshalb zurecht kritisch betrachtet wurde. Ich frage mich manchmal, ob wir solche Verhältnisse im echten Leben leichter hinnehmen als im Kino. Ob der Film nur so provoziert, weil er spiegelt, was wir längst verdrängt haben?
Aber er bleibt nicht bei dieser Konstellation stehen. Er spielt mit ihr, stellt sie auf den Kopf, kehrt sie um. Driss wird nicht der demütige Diener, sondern ein Mensch mit Stolz, Witz und Haltung. Einer, der Grenzen verschiebt, Regeln bricht und die Rolle des Untergeordneten nicht akzeptiert. Und Philippe – reich, mächtig, hilfsbedürftig – ist auf ihn angewiesen, im wörtlichsten wie im übertragenen Sinn. Hier entsteht etwas Neues: eine gegenseitige Gleichwertigkeit, eine Freundschaft, die sich nicht an Konventionen hält. Eine Umkehrung der Machtverhältnisse.
Amelie Ebner reagiert auf Filme mit Querschnittslähmung (Video) >>
„Amelie reagiert auf bekannte Filme in denen Charaktere eine Querschnittslähmung haben: “Ziemlich beste Freunde”, “Ein ganzes halbes Jahr” und “Lieber leben”. Sie kann aus eigener Erfahrung einschätzen, wie realistisch es ist, was wir da sehen. Die meisten Menschen haben ihr Wissen über Behinderungen aus Filmen. Allerdings werden in vielen Movies Klischees über Behinderungen oft bestärkt und das Image von Menschen mit Behinderung wird häufig verzerrt und eher unterhaltend dargestellt. Echte Aufklärung findet nicht statt.“ (FUNK, 21.09.2019)
Und ja – das macht Spaß! Ich habe gelacht. Oft. Laut. Der Film ist witzig, charmant, schnell. Und doch bleibt etwas Schweres zurück. Denn unter der Oberfläche ist „Ziemlich beste Freunde“ kein Wohlfühlfilm. Es ist ein Drama, versteckt unter einer Komödie. Die Leichtigkeit täuscht. Sie ist eine Tarnung, ein Trick, um uns nicht zu verschrecken. Humor als Einladung, uns mit Themen auseinanderzusetzen, die eigentlich weh tun: soziale Ausgrenzung, Rassismus, Chancenungleichheit. Die Regisseure verzichten auf Pathos, auf Moralkeulen – und treffen damit umso mehr.
Ich glaube, das ist die wahre Stärke des Films: Er erzählt eine Utopie, aber mit Realismus. Er zeigt, was möglich wäre – wenn wir uns öffnen, zuhören, einander ernst nehmen. Aber er verschweigt nicht, dass diese Öffnung selten gelingt. Dass Philippe die Banlieue nicht wirklich betritt. Und dass Driss nie in Philippes Welt ankommen wird. Nähe ist möglich, aber nicht vollständig. Das System bleibt stabil, selbst wenn sich zwei Menschen kurz darüber hinwegsetzen.
Und genau da liegt die Frage, die mich am meisten beschäftigt: Stabilisiert der Film das System – oder unterwandert er es leise? Ist das Lachen ein Trostpflaster oder ein Sprengsatz? Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, Nakache und Toledano wollen die Welt nicht brennen sehen. Sie wollen sie nur besser machen. Nicht durch Zorn, sondern durch Mitgefühl.
In all ihrer Mainstream-Tauglichkeit bleiben sie auf der Seite der Schwachen. Ihre Filme glauben an Freundschaft, an Solidarität, an Menschlichkeit – auch in Zeiten, in denen alles auseinanderbricht. Und das ist, in dieser Form, gar nicht so wenig.
Vielleicht sogar revolutionär?
Ach, und ja – der deutsche Titel: schrecklich. Aber sei’s drum.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 04.06.2025.
Tragikomödie, Frankreich, 2011, FSK: ab 6, Regie: Olivier Nakache, Éric Toledano, Drehbuch: Olivier Nakache, Éric Toledano, Produktion: Nicolas Duval, Yann Zenou, Laurent Zeitoun, Musik: Ludovico Einaudi, Kamera: Mathieu Vadepied, Schnitt: Dorian Rigal-Ansous, Mit: François Cluzet, Omar Sy, Anne Le Ny, Audrey Fleurot, Clotilde Mollet, Alba Gaïa Bellugi, Cyril Mendy, Christian Ameri, Grégoire Oestermann, Marie-Laure Descoureaux, Absa Dialou Toure, Salimata Kamate, Thomas Solivérès, Dorothée Briere Meritte, Fediverse: @filmeundserien
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