Quentin Tarantino – „Kill Bill I. & II.“ (2003-2004)

4.3
(3)
Quentin Tarantinos Werk ist so durchdrungen von Zitaten, Referenzen und Gewalt, dass ich mich oft frage, ob ich dabei eigentlich noch wirklich etwas fühle – oder nur Teil eines intellektuellen Spiels bin, das mehr über Filmgeschichte als über Menschen erzählt. Und dann stand ich doch irgendwann vor dieser ikonischen Braut in gelbem Anzug, mit blutverschmierter Klinge, und konnte nicht anders…



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Vielleicht, weil ich inzwischen wusste, dass hinter der Kamera jemand stand, der Kino nicht nur liebt, sondern es so sehr zerlegt und neu zusammensetzt, dass es beim Zusehen weh tut. Vielleicht aber auch, weil Uma Thurman in diesen zwei Filmen etwas tut, das weit über das hinausgeht, was eine Rachegeschichte im Kino gewöhnlich leisten kann.

Quentin Tarantino bricht in „Kill Bill“ (2003/2004) mit der Chronologie, aber nicht mit dem Mythos. Die Geschichte ist denkbar einfach: Eine Frau wird an ihrem Hochzeitstag brutal niedergeschossen, verliert ihr ungeborenes Kind, fällt ins Koma – und erwacht vier Jahre später, um sich an denen zu rächen, die ihr das angetan haben. Was klingt wie die Blaupause eines Exploitation-Films, wird unter Tarantinos Regie zu einem postmodernen Opernwerk, das zugleich Hommage, Kritik und Manifest ist. „Kill Bill“ ist so überhöht, so überzeichnet, so übergewaltig – und das alles mit einer solchen Konsequenz, dass ich nicht wusste, ob ich darüber etwa lachen, weinen oder applaudieren sollte.

Was mich aber wirklich am meisten getroffen hat, war, dass der Film eine Frau in den Mittelpunkt gestellt hat, die sich nicht nur gegen ihre Peiniger stellt, sondern gegen ein ganzes perfides System, dessen Ziel ihre ultimative Auslöschung war. Die Braut – sie wird erst in Teil 2 als Beatrix Kiddo benannt – ist keine Heldin, sondern eine Überlebende. Eine Kämpferin, die durch männlich dominierte Gewaltsysteme navigiert, ohne darin draufzugehen.

Ihre Waffen sind ihr Schwert, ihr Wille und ihre Erinnerung. Ihr Körper ist zugleich Medium und Archiv der Gewalt, die sie erfahren hat. Es ist radikal, wie Tarantino hier Weiblichkeit ins Zentrum eines Genres stellt, das traditionell männliche Vergeltung glorifiziert. Er gibt ihr die Bühne, aber auch die Last – und das ist beides zugleich feministisch und problematisch.

Denn Tarantino liebt seine Figuren, aber er liebt auch ihre Qual. Er inszeniert Schmerz mit einer Ästhetik, von der er berauscht ist. In „Vol. 1“ explodiert das Bild in Farben, Blutfontänen und stilisierten Kämpfen – Anime-Sequenz inklusive. Die Gewalt ist durchchoreografiert, fast musikalisch. Es ist Pop-Art mit Katana. Und doch gibt es Szenen, die nur schwer auszuhalten sind, etwa ein Krankenhausübergriff, der sexualisierte Gewalt in einen Rachemotor verwandelt, ohne je die systemische Brutalität wirklich zu verhandeln. In diesen Momenten schwankt der Film zwischen weiblichen Empowerment und üblem Voyeurismus, zwischen Solidarität und echtem Sadismus.

„Vol. 2“ hingegen zieht die Zügel an. Der Ton ist leiser, die Bilder erdiger, der Fokus liegt stärker auf Dialogen und Beziehungen. Es ist ein Western, ein Familiendrama, ein Finale der Verzweiflung. Thurmans Spiel wird nuancierter, ihre Figur komplexer. Die Frage ist nicht mehr nur: Wer muss sterben? Sondern auch: Was bleibt, wenn alles vollbracht ist?

Und genau hier ist der zweite Teil deutlich stärker als der erste. Denn er erlaubt der Braut, mehr zu sein als nur ein Symbol. Er lässt sie sprechen, lieben, zittern. Und er zwingt das Publikum, sich mit den Konsequenzen der Gewalt auseinanderzusetzen, die es im ersten Teil noch so kunstvoll gefeiert hat.

Ich denke jedes Mal, wenn ich den Film sehe, über die Szene mit Pai Mei (Gordon Liu) nach, dem rassistisch gezeichneten Kung-Fu-Meister, der Beatrix mit sadistischer Strenge ausbildet. Sie ist problematisch – voller Klischees, voller kultureller Aneignung – und doch ist sie zentral für das Empowerment der Figur. Hier beginnt ihre Transformation zur Kämpferin, hier lernt sie, sich nicht nur zu wehren, sondern zu überleben. Und das ist das Paradox dieser Filme: Sie sind postkolonial zutiefst fragwürdig, aber sie zeigen eine Frau, die sich durch diese kolonialen Männlichkeitsfantasien hindurch ihren Weg bahnt. Vielleicht nicht frei davon – aber sehr bewusst.

Was mich an „Kill Bill“ nach über 20 Jahren noch so bewegt, ist nicht die Gewalt, sondern der Versuch, darin etwas über Liebe, Verlust und Identität zu erzählen. Dass Tarantino den Film Uma Thurman gewidmet hat, spüre ich, selbst ohne es zu wissen. Sie ist nicht Muse, sondern Mitstreiterin. Ihre Präsenz durchzieht jeden Frame, ihre Augen erzählen mehr als jeder Monolog. Dass ihre reale Geschichte – etwa die Stunt-Unfälle am Set – später eine neue Dimension zur Filmrezeption hinzugefügt hat, kann ich nicht ignorieren. Auch das gehört zur Wahrheit dieser Filme: Dass sie von einer Ästhetik der Zerstörung leben, die nicht nur fiktiv ist.

Ich bin ambivalent – begeistert von der filmischen Virtuosität, irritiert von der Gewaltverherrlichung, bewegt von der Figur Beatrix Kiddo. „Kill Bill“ ist wahrhaftig kein feministisches Manifest, aber eine Zumutung, die sich einfach nicht bequem einordnen lässt. Und vielleicht ist genau das der Wert: Dass die Filme mich zwingen, meine Sehgewohnheiten zu hinterfragen. Ich war mir sicher, ich würde Tarantino nie lieben können – und dann plötzlich von einer blutigen, schönen, zornigen Frau überwältigt wurde, die sich durch das Herz meiner gesamten Filmgeschichte kämpft. Mit jeder Bewegung ein Zitat.

Und doch ganz sie selbst.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 22.06.2025.


Inhaltswarnung: Beide Filme enthalten explizite Darstellungen von körperlicher Gewalt, sexualisierter Gewalt, versuchter Vergewaltigung, Folter, Mord und Tötungsszenen in stilisierter wie realistischer Form. Thematisiert werden zudem häusliche Gewalt, patriarchale Machtverhältnisse, Schwangerschaftsabbruch durch Gewalt, kulturelle Aneignung sowie rassistische und sexistische Stereotype. Einige Szenen können retraumatisierend wirken. Zuschauer:innen, die mit diesen Inhalten überfordert sein könnten, wird zu besonderer Vorsicht geraten.



Martial-Arts, Action-Film, USA, 2003, 2004, FSK: ab 18(!), Regie: Quentin Tarantino, Drehbuch: Quentin Tarantino, Produktion: Lawrence Bender, Musik: The RZA, Kamera: Robert Richardson, Schnitt: Sally Menke, Mit: Uma Thurman, David Carradine, Lucy Liu, Daryl Hannah, Vivica A. Fox, Michael Madsen, Sonny Chiba, Chiaki Kuriyama, Julie Dreyfus, Gordon Liu, Michael Parks, Perla Haney-Jardine, Samuel L. Jackson, Caitlin Keats, Laura Cayouette, Bo Svenson, Jeannie Epper,



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