Es kommt nicht häufig vor, dass es einzelne Darsteller:innen oder Regisseur:innen innerhalb von wenigen Tagen so häufig in diesen Blog schaffen, wie es mit Götz George gerade der Fall ist. Und das, ohne dass ein anderer Grund dafür vorzuliegen scheint, als eben das aktuelle TV-Programm. Warum auch immer der NDR gestern Nacht diesen Film wiederholt hat. Sie müssen ihn gesehen haben. Weil es der George auf dem Gipfel seines Schaffens war, der uns hier in die Seele eines Serienmörders blicken lässt.
Gar keine Frage, Fernsehunterhaltung ist dieser Film nicht. Ganz im Gegenteil. Sensiblen Menschen rate ich gleich ganz davon ab, ihn zu sehen. Selbst jenen, die gewöhnlich zu den eher hartgesottenen Konsument:innen neuzeitlicher True-Crime-Formate gehören, verlangt dieser Film – nach tatsächlichen Ereignissen – eine Menge ab. Das liegt auch und zuvorderst an Götz George.
Das Szenario eines Verhörs als Kammerspiel kennen wir als Element fast jedes Krimis. Auch als ein, einen ganzen Spielfilm füllendes Szenario haben wir es schon gesehen. So gehört „Das Verhör“ (1981) mit dem unvergessenen Lino Ventura zum Beispiel zu jenen Filmen, die ich mir alle Jahre wieder gerne ansehe. Doch hat sich Claude Miller seinerzeit die Geschichte eines literarischen Romans zur Grundlage seines Drehbuchs genommen, während Romuald Karmakar und sein Co-Autor Michael Farin es mit einem ganz realen, 800 Seiten starken Vernehmungsprotokoll aus dem Jahre 1924 zu tun hatten.
Jürgen Hentsch, der im Film den Psychiater Prof. Dr. Ernst Schultze aus Göttingen spielt und Götz George als Serienmörder Fritz Haarmann aus Hannover, sind die Paarung in einem Film, den es, meiner Erinnerung nach, in Deutschland noch nicht gegeben hat.
George, schwitzend, unter Druck, mit eitrigen Pickeln, schlechten Zähnen und schweren Händen, arbeitet sich ab an sich selbst. Er spielt den Haarmann so naiv und verschlagen, daß man nie weiß, ob der nun seinen Schwachsinn oder seine kriminelle Energie nur markiert. George spielt einen Selbstdarsteller. Es ist die Rolle seines Lebens. Sein erster Satz – „Das wissen Sie doch!“ – variiert den Satz, den sein Vater Heinrich George als Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“ sagt: „Ick weeß nich‘, ick find‘ mir nich‘ mehr zurecht.“ Döblin hatte den gutmütigen Gewaltmenschen Biberkopf nach Haarmann gestaltet, mit Götz George als Totmacher schließt sich der Kreis.
Christiane Peitz, Die Zeit, 24. November 1995
Beide spielen, meiner Meinung nach, die Rolle ihres Lebens. Nicht weil sie für diese etwa weltberühmt wurden, sondern weil sie in dieser einmaligen Zusammenarbeit gemeinsam einen einsamen Gipfel ihrer darstellerischen Kunst erreicht haben. Und ja, ich denke, der eine von ihnen bedingte den anderen.
Eines der großen Geschenke des Privatfernsehens war die Sendezeit, die Alexander Kluge sich seinerzeit für seine Firma dctp auf RTL und Sat1 erstritten hat. Das Archiv auf https://www.dctp.tv/ ist eine Schatzkiste ohne jeden Vergleich. Und für die Nachbereitung dieses Filmes ist das Interview Kluges mit Regisseur und Autor Karmakar eigentlich unersetzlich:
Ich habe damals im Kino gesessen und musste mich nach dem Film erst mal sammeln, bevor ich wieder auf die Straße konnte. Kaum 30 Jahre später ist all das mir noch immer gegenwärtig, als wäre es gestern gewesen. Das kann das Kino, wenn es groß ist. Und das ist auch ein Grund warum es diesen Blog gibt. Diese Eindrücke hinterlassen eben irgendwo ihre Spuren. Und darüber zu schreiben ist auch eine Form der Verarbeitung eben davon. Meine Therapie.
Fragen Sie mich nicht, warum ich Götz George für einen der größten (deutschen) Schauspieler meines Lebens halte, wenn Sie diesen Film nicht gesehen haben. Schauen Sie ihn aber bitte nicht wegen mir an. Er ist – unter Umständen – nachhaltig verstörend.
Sie müssen das wirklich wollen.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 08.04.2025. Permalink: https://nexxtpress.de/b/cmN
Drama, Deutschland, 1995, FSK: ab 12(!), Regie: Romuald Karmakar, Drehbuch: Romuald Karmakar, Michael Farin, Produktion: Peter Herrmann, Thomas Schühly, Kamera: Fred Schuler, Schnitt: Peter Przygodda, Mit: Götz George, Jürgen Hentsch, Pierre Franckh, Hans-Michael Rehberg, Matthias Fuchs, Marek Harloff, Christian Honhold, Rainer Feisthorn, Fediverse: @filmeundserien
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