Ich kann das französische Kino nur lieben. Da bin ich weitestgehend wehrlos. Dem bin ich ausgeliefert. Auch weil es kaum noch Menschen außerhalb dieses Universums gibt, die heute noch in der Lage sind, uns kleine Edelsteine wie diesen Film zu schenken. Ein Film in dem eigentlich „nichts“ passiert. Der nur die Menschen beobachtet. Und ihren kleinen Alltag.
Eric Rohmer würde mir einfallen. Der hat die Fähigkeit besessen, Menschen einfach nur reden zu lassen. Und dabei hat er ihre Welt dekonstruiert und für das Publikum seiner Film neu zusammengesetzt. Ob das aber nun ein Vergleich ist, dem Olivier Assayas zustimmen würde, oder nicht, das weiß ich nicht. Dafür reicht auch mein Französisch nicht. In Deutschland hatten wir den Dietl. Der konnte das auch.Doch wenn ich die Wahl hätte, zwischen Paris und München, zwischen Veronica Ferres oder Juliette Binoche… Sorry, liebe Münchener:innen…
Was für den Dietl damals das Filmmilieu war, ist für Assayas der Literaturbetrieb. Schriftsteller:innen, Agent:innen und die Menschen drumherum. Wie privilegierte Bildungsbürger ökonomisch, persönlich, leidenschaftlich, analytisch und erotisch zu (über-)leben versuchen, in einer Zeit, in welcher der technologische Wandel nicht nur die Mittel zwischenmenschlicher Kommunikation revolutioniert, sondern auch ihren Inhalt, ihre Tiefe, ihre Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit in Frage stellt.
Wer mit wem schläft, mit wem geschlafen hat, mit wem noch schlafen will, das wird nicht belächelt in „Zwischen den Zeilen“. Im Gegenteil: Der Film macht es sich gemütlich in diesen Aspekten und genießt die zwischenmenschlichen Unwägbarkeiten. Überhaupt wirkt der Film wie die perfekte Symbiose von Telenovela und intellektueller Zeitdiagnose: Der Spaß, den Figuren in ihre Untiefen zu folgen, steht an erster Stelle.
(Frédéric Jaeger, Spiegel-Online, 06.06.2019)
Es ist ein Spaß und es ist eine kleine intellektuelle Herausforderung, den Menschen hier zu folgen. Mir macht es natürlich eine besondere Freude dabei Frau Binoche erleben zu dürfen. Nicht nur, weil sie eine hinreißende Schauspielerin ist, sondern auch weil ihre Rolle und deren Blick auf die Welt ganz nah bei meiner kleinen Lebensphilosophie zu liegen scheint.
Twitter ist nie meins gewesen.
„Zwischen den Zeilen“ – in der ARD Mediathek bis 07.01.2024
Spielfilm, Frankreich, 2019
FSK: Ab 6.
Buch & Regie: Olivier Assayas
Produktion: Charles Gillibert
Kamera: Yorick Le Saux
Schnitt: Simon Jacquet
Mit: Guillaume Canet, Juliette Binoche, Vincent Macaigne, Nora Hamzawi, Christa Théret, Pascal Greggory, Nicolas Bouchaud, ua.
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