Seltener noch, als Mediathekperlen, sind echte Programmedelsteine wie diese beiden Filme eines großen polnischen Regisseurs. Meistens versteckt, in den Stunden nach Mitternacht, für das Publikum nur sichtbar, wenn es danach sucht. Selten fühlt sich dieser Blog deshalb richtiger und wichtiger an. Weil Sie, wenn Sie das gelesen haben, diese Filme sehen sollten.
Ich gebe gerne zu, dass ich selbst diese Filme von Pawel Pawlikowski nur deshalb gesehen habe, weil sie beide zu ihrer Zeit für den Oscar als jeweils bester fremdsprachiger Film nominiert waren. „Ida“ (2013), hat den Preis damals sogar gewonnen. Da kann ich noch so ironisch über den Industriepreis aus Amerika herziehen, Aufmerksamkeit schafft er eben, wie kein anderer der Welt. Was für ein Glück!
Was für ein Glück ist es auch, dass es mit dem Mitteldeutschen-Rundfunk (MDR) einen Sender gibt, der in der Nacht (am Freitagmorgen) mehrere Stunden im Programm dafür hergibt, diese Filme hintereinander auszustrahlen. Die Einschaltquoten dafür werden homöopathisch sein. Also kaum nachweisbar. Doch dafür können diese Werke im Anschluss für die öffentlich-rechtliche Mediathek und für den, durch ihre Haushaltsabgabe finanzierten Rundfunk, einen mehr als qualifizierenden Grund für ihre bloße Existenz herleiten.
Ich meine es wirklich ernst! Wenn Sie das Kino wirklich lieben. Wenn Sie sich darauf einlassen können, einem Filmemacher dabei zu folgen, wie er mit den Elementarkräften des Kinos, Licht und Schatten, Musik und großartigen Schauspieler:innen, Geschichten erzählt, die Sie nicht wieder vergessen werden und sie zur Einzigartigkeit verdichtet, dann wollen Sie diese Filme sehen.
„Ida“ (2013):
„Seit der ersten Teilnahme an einem Festival hat der Film „Ida“ bereits über 50 Preise gewonnen. Darunter fünf europäische Filmpreise für den besten Film, das beste Drehbuch, die beste Regie und die beste Kamera sowie den Publikumspreis. 2015 wurde der Film des polnischen Regisseurs Pawel Pawlikowski in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film mit einem Oscar ausgezeichnet. In eindrücklichen Schwarz-Weiß-Bildern beschäftigt sich Pawlikowski mit der Geschichte seiner Heimat seit dem Angriff der Deutschen und geht die Tabuthemen in seinem Land an, die drei „ismen“ Kommunismus, Stalinismus und Antisemitismus.“ (ARD)
In der Filmsprache, den Bildern und ihrer schwarz-weißen Komposition sehe ich vielleicht manchmal den jungen Wim Wenders. Doch Pawlikowski, und da nutzt er vermutlich seine Jahrzehnte lange Erfahrung als Dokumentarfilmer, lässt keinen Augenblick daran zweifeln, dass genau diese Sprache seiner Bilder auch seine ganz eigene Erinnerung an das Land seiner Eltern ist.
Ich finde mich darin vollkommen wieder, weil auch meine eigene Vergangenheit zu ganz signifikanten Teilen aus schwarz-weißen Erinnerungen besteht. Meine Kindheit war noch nicht in Farbe, so wie das ganze Leben meiner Eltern und Großeltern vor mir. Ihre Bilder, noch auf Agfa-Fotopapier festgehalten, die durch die Abwesenheit von Farbe noch ganz andere Geschichten erzählen, als all die abertausenden von digitalen Schnellschüssen auf meinen Computern und Smartphones.
„Cold War“ (2018):
„In seinem einzigartigen Meisterwerk erzählt Oscar-Preisträger Paweł Pawlikowski („Ida“) von der schier unbändigen, zutiefst menschlichen Kraft der Liebe. In magischen klaren Schwarz-Weiß-Bildern und mit viel Liebe zum Detail lässt er als Hintergrund für seine intensive Liebesgeschichte, die vom Leben seiner Eltern inspiriert ist, die Zeit der politischen Teilung Europas wieder auferstehen. Mit „Cold War“ gewann Pawlikowski 2018 in Cannes den Preis für die beste Regie. Der Film war 2019 für drei Oscars nominiert. Im Rahmen des Polnischen Filmpreises erhielt er 13 Nominierungen und wurde in sieben Kategorien ausgezeichnet. Joanna Kulig erhielt den Preis als beste Hauptdarstellerin.“ (ARD)
Content-Warnung:
Ich hasse es, das Ende von „Cold War“, Pawlikowskis bislang letztem Film, vorwegnehmen zu müssen, doch weil die letzten Szenen auf den Freitod der Hauptdarsteller:innen hinführen, ist das wohl leider unvermeidlich.
Wenn Sie die Suizid-Referenz vermeiden wollen, dann schalten Sie den Film an der Stelle (1:15:28) aus, an dem das Paar gegen Ende aus einem Bus steigt. Wir sehen eine staubige Kreuzung zwischen Kornfeldern, eine einfache Sitzbank. Der Mann und die Frau laufen aus dem Bild. Die Geschichte, würde sie denn hier enden, wäre tatsächlich nicht unvollendet geblieben.
Nichtsdestoweniger liebe ich den Film zutiefst, für das, was er ist. Eine großartige Ballade über die Liebe. Ein ergreifend musikalisches Werk. Und, so ist es im Nachspann zu lesen, eine Geschichte, den Eltern des Autors gewidmet, deren Leben hier nicht nacherzählt, aber doch gewürdigt wird.
„Ida“ ist zweifelsohne ein Meisterwerk, der Oscar, vermutlich, verdient, doch „Cold War“ war tatsächlich ein großes Geschenk für mich, ganz und zutiefst persönlich. Und deshalb ist es der erste Film Pawlikowskis und der erste polnische Film überhaupt auf der langen Liste meiner Lebenslieblingsfilme.
Drama, Polen, 2013, FSK: 0, Regie: Paweł Pawlikowski, Drehbuch: Paweł Pawlikowski, Rebecca Lenkiewicz, Produktion: Eric Abraham, Piotr Dzięcioł, Ewa Puszczyńska, Musik: Kristian Eidnes Andersen, Kamera: Ryszard Lenczewski, Łukasz Żal, Schnitt: Jarosław Kamiński, Mit: Agata Kulesza, Agata Trzebuchowska, Dawid Ogrodnik, Jerzy Trela, Adam Szyszkowski, Halina Skoczyńska, Joanna Kulig, Dorota Kuduk, Natalia Lagiewczyk, Afrodyta Weselak, Mariusz Jakus, Izabela Dąbrowska, Artur Janusiak, Anna Grzeszczak, Jan Wojciech Paradowski, Konstanty Szwemberg, Paweł Burczyk, Artur Majewski, Krzysztof Brzeziński, Piotr Siadul, Lukasz Jerzykowski, Artur Mostowy
Drama, Polen, 2018, FSK: ab 12, Regie: Paweł Pawlikowski, Drehbuch: Pawel Pawlikowski, Janusz Głowacki, Produktion: Ewa Puszczyńska, Tanya Seghatchian, Kamera: Łukasz Żal, Schnitt: Jarosław Kamiński, Mit: Joanna Kulig, Tomasz Kot, Agata Kulesza, Borys Szyc, Jeanne Balibar, Cédric Kahn, Adam Ferency, Adam Woronowicz
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