Für mich war dieser Thriller, angesiedelt im politischen Washington, eigentlich eine Fortsetzung des amerikanischen Westerns. Eastwood, dessen Dekonstruktion des Mythos in „Erbarmungslos“ kurz zuvor gleich viermal einen Oscar gewann, überließ dem Deutschen Petersen die Regie. Für den einen war es eine seiner letzten Action-Rollen, für den anderen sein Durchbruch in Hollywood.
Ich war, fast mein Leben lang, ein (Achtung, hier kommt wieder dieses schwierige Wort) ambivalenter Fan von Clint Eastwood. Dieser Mann hat mir, über seine gesamte Karriere, Amerika erklärt. Mein Respekt vor dem Künstler ist fast grenzenlos. Als Regisseur sogar noch weit mehr, wie als legendärer Schauspieler. Fast 70 Jahre vor und hinter der Kamera! Da kommt kein anderer mit.
Wären da nur nicht die furchtbar reaktionären Filme der 70er Jahre (u.a „Dirty Harry“) und seine politische Affinität zu den US-Republikanern (mit seiner Partei und Donald Trump hat er erst 2020 gebrochen.), dann wäre er ein noch leuchtenderes Idol für mich gewesen. Doch so ist es eben. Manchmal kommt die Vernunft eben erst mit dem Alter.
In „In the Line of Fire“ (1993) gab er den Helden so, wie er sie auch schon in seinen Western angelegt hat. Ein Veteran, traumatisiert, angeschlagen, auf dem (beruflichen) Abstellgleis, der noch ein letztes Rodeo, einen letzten Faustkampf, ein letztes Duell in sich hat, und noch nicht bereit ist abzutreten.
Petersen nimmt dieses Thema auf, transponiert es in das politische Washington (eigentlich die Antithese zum „Wilden Westen“ schlechthin), und lässt seinen Helden in Würde abtreten. Dieser bekommt natürlich am Ende auch das Mädchen (Rene Russo)… im Sonnenuntergang auf dem Lincoln Memorial.
Für die Relevanz der Story ist die Motivation aus dem Trauma der US-Geschichte, dem Attentat auf Präsident Kennedy (1963) natürlich von zentraler Bedeutung. Da segelt dieser Thriller gewissermaßen im Windschatten von Oliver Stones Blockbuster, „JFK – Tatort Dallas“ (1991), nur zwei Jahre zuvor. Allerdings ist die Politik in Washington hier nur Kulisse und die Verschwörungstheorien um den Mord an Kennedy nicht mehr als nur der Ankerpunkt in der Biografie des Helden, doch sehr zentral für das Marketing des Films.
Vielleicht ist es für die historische Einordnung des Filmes aber auch relevant, dass der USSS dafür das erste Mal auch eine beratende Rolle eingenommen hat. Sicher wäre das undenkbar gewesen, wenn der Secret Service, zuständig für den Schutz des Präsidenten, hier etwa nicht eine – am Ende – positive Darstellung seines Agenten hätte erwarten können. (Im vier Jahre später folgenden Eastwood-Thriller „Absolute Power“ (1997) kommt der Geheimdienst weit weniger gut aus der Story raus.)
Für seine Zeit bahnbrechend war der Film also nicht wegen der Modernität seiner Geschichte, doch er war es in vielfacher Hinsicht durch seine Machart. Und besonders dort sollte Wolfgang Petersen sich in seiner Karriere noch mehrfach auszeichnen.
Denn „In the Line of Fire“ war zu seiner Zeit auch einer der ersten Filme überhaupt, in denen CGI, also Computer-generierte Effekte und Sequenzen eingesetzt wurden. Nicht um den Film damit etwa spektakulärer zu machen, sondern schlicht: um Geld zu sparen. Wenn Sie sich noch an den Streik der Filmgewerkschaften 2023 erinnern, dann wissen Sie jetzt, seit wann deren Sorgen eigentlich schon mehr als berechtigt sind.
An Eastwood ist allerdings alles „echt“. Jede Falte, jede Furche seines Gesichts erzählt seine Geschichte und ist Zeugnis dafür, dass der Mann begriffen hat, dass vor allem diese Erscheinung, wie schon in „Unforgiven“ (1992) auch sein darstellerisches Kapital ist. Und dass eben genau diese, mit der Selbstironie des Helden – „Ich liebe öffentliche Verkehrsmittel…“ – auch ein zentrales Element der Geschichte ist, macht ihn auch auf der persönlichen Ebene sympathisch.
Die Existenz eines Helden ist aber nur möglich, wenn er einen mindestens gleichwertigen Antagonisten besitzt. Und in eben dieser Rolle war John Malkovich für den Film ein unglaublicher Hauptgewinn. Seine Schurken, Genies, Psychopathen, Besessenen, seine Intriganten sind mit das Beste, was wir in den letzten 40 Jahren sehen konnten… und – das ist ja wirklich besonders wertvoll – auch seine deutsche Synchronstimme von Joachim Tennstedt gehört ebenfalls einem der besten der Branche.
Über Ennio Morricone muss an dieser Stelle nicht geschrieben werden. Tatsächlich ist der Soundtrack des Großmeisters hier aber weit weniger zentrales Element, als in vielen seiner klassischen Werke. Filmgeschichtlich allerdings, sind die Lebenswerke von Morricone und Eastwood nicht voneinander zu trennen. Und auch deshalb sehe ich mir diesen 30 Jahre alten Thriller immer wieder gerne an.
„I know things about pigeons, Lilly!“
Dieser Beitrag erschien zuerst am 17.01.2025.
Thriller, USA, 1993, FSK: ab 16, Regie: Wolfgang Petersen, Drehbuch: Jeff Maguire, Produktion: Jeff Apple, Gail Katz, Wolfgang Petersen, David Valdes, Robert J. Rosenthal, Musik: Ennio Morricone, Kamera: John Bailey, Schnitt: Anne V. Coates, Mit: Clint Eastwood, John Malkovich, Rene Russo, Dylan McDermott, Gary Cole, Fred Dalton Thompson, John Mahoney, Tobin Bell, Patrika Darbo, John Heard, Cylk Cozart, Gregory Alan Williams, Steve Railsback, Jim Curley, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF