„Im Flugzeug gibt es während starker Turbulenzen keine Atheisten“, soll Robert Lembke gesagt haben. Ich bin durchaus geneigt, dem großen Journalisten und Showmaster zuzustimmen. Ob ich, wenn ich wählen könnte, mich aber für Gottes Hand, oder die eines hochfunktionalen Alkoholikers im Cockpit entscheiden würde, möchte ich nicht vorhersagen müssen.
Auch wenn er zu Beginn eher wie ein Katastrophenfilm daherkommt, und sich zwischendurch als Psychodrama verkleidet, ist dieser Film von Anfang bis zum Ende doch eigentlich nur die dramatische Geschichte eines Alkoholikers auf seinem harten Weg „trocken“ zu werden.
Doch wenn so ein Mensch zufällig in einem Beruf arbeitet, in dem er/sie täglich die Verantwortung für mehrere Hunderte Menschenleben in der Luft und Tausende am Boden trägt, dann ist das für Robert Zemeckis, den fantastischen Geschichtenerzähler (Forrest Gump, 1992), hochprozentiger Stoff für einen grandiosen Film.
Es gab eine historische Vorlage für „Flight“ (2012), allerdings hat den Flug 261 der Alaska-Airlines am 31.01.2000 kein einziger Mensch überlebt. Ich persönlich kann mich heute, 24 Jahre danach, auch nicht mehr daran erinnern, überhaupt von diesem Absturz gehört zu haben. Es gab keine:n Held:innen.
Der Air-France-Flug 4590, etwas später im selben Jahr, hat mich allerdings ziemlich mitgenommen, auch wenn ich selbst wahrscheinlich nie mit einer Concorde geflogen wäre. Es war ein Dienstag, ich war gerade in Kopenhagen gelandet, und traf einen französischen Kollegen. Für den war das tatsächlich eine sehr persönliche Katastrophe, weil sein Vater zu seiner Zeit noch als Kapitän für die Air France geflogen ist. Wir fanden uns tagelang vor dem TV und Internet gefesselt, um zu versuchen irgendwie rational zu verstehen, wie dieses Unglück passieren konnte. So entsteht ein PTSD aus zweiter und dritter Hand, sozusagen. Das geht auch nicht mehr weg.
Im Jahr 2010 nach vielen weiteren ungezählten Flugmeilen durfte ich dann das Airbus-Werk in Hamburg-Finkenwerder besichtigen. Genau jenes Werk, in dem auch der A320 des US-Airways-Flugs 1549 montiert wurde, mit dem Chesley Burnett Sullenberger III, genannt „Sully“ einige Monate zuvor in New-York-City auf dem Hudson River gelandet ist. Clint Eastwood hat die Geschichte 2016 mit Tom Hanks in der Hauptrolle kongenial verfilmt. Haben Sie sicher gesehen. Wenn nicht, dann müssen Sie das! Das geht auch nicht mehr weg.
Unser Guide auf der Tour in Finkenwerder hatte auf die Frage, welchen Flugzeug-Typ sie für den sichersten und zuverlässigsten halten würde, damals nur die Antwort, „Immer den, in dem Sully im Cockpit sitzt“.
Doch wenn Sie ohnehin an Flugangst leiden, dann ist aber sicher weder die Heldengeschichte mit Tom Hanks, noch jene des koksenden, saufenden und grandios aufspielenden Denzel Washington wirklich zu empfehlen, es sei denn, Sie glauben an Konfrontationstherapien.
Gerade „Flight“ spart nicht an Adrenalin hochtreibenden Bildern aus dem CGI-Computer, die im Kinosaal durchaus auch zur Ohnmacht führen können. Und das, wiederum, ist ein psychologischer Zustand, der durchaus mit dem der Passagiere vergleichbar ist – ohne Macht – wenn auch potenziell weit weniger fatal.
Wenn Sie aber „aus Gründen“ dennoch ein Flugzeug besteigen müssen, obwohl Sie es eigentlich gar nicht wollen, dann ist die Besichtigung einer Flugzeugmontage gar keine schlechte Idee. Es hilft auch dabei, zu verstehen, was die Dinger in der Luft hält. Ganz wie der Film.
Ich bin ein durch und durch rationaler Mensch. Das glaube ich wenigstens. Soweit es Religion betrifft, gilt für mich, dass jede:r das glauben soll, was ihm/ihr am meisten hilft. Ich bin, soweit es meinen Glauben an einen oder mehrere Götter, vor allem aber auch die Kunst von Ingenieur:innen angeht, die Flugzeuge konstruieren, jene, die sie montieren und jene, die sie fliegen, sicher Agnostiker.
Allerdings habe ich in den vielen Jahren auch viel gelernt.
„If it is Boeing, I’m not going.“
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 22.12.2024.
Katastrophen-Drama, USA, 2012, FSK: ab 12, Regie: Robert Zemeckis, Drehbuch: John Gatins, Produktion: Laurie MacDonald, Walter F. Parkes, Jack Rapke, Steve Starkey, Robert Zemeckis, Musik: Alan Silvestri, Kamera: Don Burgess, Schnitt: Jeremiah O’Driscoll, Mit: Denzel Washington, Kelly Reilly, Don Cheadle, Bruce Greenwood, John Goodman, Brian Geraghty, Tamara Tunie, Nadine Velazquez, Melissa Leo, Ravi Kapoor, Fediverse: @filmeundserien@a.gup.pe
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