Ein Film über Frauen (Regisseur ist ein Mann), dargestellt von großen Frauen, soweit es Hollywoods eigene Maßstäbe betrifft. Ein Film aus der Fabrik von Harvey Weinstein. Nach einem Bestseller, zudem nach Motiven der feministischen Ikone Virginia Woolf. Neun Nominierungen für den Oscar, sieben für den Golden Globe, zwei silberne Bären der Berlinale. Machen Sie sich darauf den Reim, den Sie wollen. Ansehen müssen Sie sich das doch.
Dreiundzwanzig Jahre später wieder auf diesen Film zu schauen, ist natürlich ein Erlebnis, das mit all dem angereichert wurde, was wir seit seiner Premiere gelernt und erlebt haben. Da bleibt eine Ambivalenz darüber nicht aus, wie sehr Kritik und Publikum ihn zu seiner Zeit gefeiert haben. Auch, weil der Film alles darauf angelegt hat, von ihnen geliebt zu werden.
„Man erwirbt die Rechte zu einem Premium-Bestseller, verpflichtet die besten verfügbaren Premium-Hauptdarsteller:innen und verkauft das ganze Paket an ein Studio als Premium-Schwergewicht für die Herbst-Filmsaison. Manchmal ist der Film, der dabei herauskommt, großartig, manchmal nicht. Das spielt kaum eine Rolle. Integrieren Sie eine Preisverleihungskampagne in das eher konventionelle Marketing des Films, und Sie können vielleicht von dem Rummel profitieren.“ So einfach hat der Autor und Kritiker S.T. VanAirsdale diesen Mechanismus zusammengefasst (Slate).
The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit war 2002 sicherlich ein eher unerwarteter Kassenfolg. Mehr als das Vierfache des Budgets spielte das Drama seinerzeit ein. Natürlich kann man hier nicht von einem kleinen Indiewerk sprechen, das verbietet allein schon die Besetzung. Mit Meryl Streep, Nicole Kidman und Julianne Moore spielen drei der bedeutendsten Darstellerinnen der letzten Jahrzehnte die Hauptrolle. Bis in kleine Nebenrollen hinein wurden große Stars besetzt. Außerdem war die Vorlage nicht gerade unbekannt. Der zugrundeliegende Roman „Die Stunden“ von Michael Cunningham wurde mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet. Und doch ist der auf drei Zeitebenen erzählte Film auf seine Weise so eigenwillig, dass er nicht unbedingt dem entspricht, was man an der Spitze der Kinocharts erwarten würde.
Oliver Armknecht, film-rezensionen.de, 14.06.2023
Kassenerfolg ist natürlich relativ, besonders für eine eigentlich ziemlich sperrige Literaturverfilmung. Ich wusste also, ich werde manipuliert. Und doch ging ich ins Kino und setzte mich diesem Werk aus. Eben weil ich sehen wollte, wie diese Rechnung am Ende aufgegangen ist. Und, ja, tatsächlich, sie hat funktioniert. Vor allem und zuallererst, dank der großartigen Hauptdarstellerinnen, die wir nicht lieben müssen, aber doch für ihre Kunst respektieren.
„A room of one’s own“ … Woolf hat geschrieben über die fehlende Rückzugsmöglichkeit, die Frauen einst hatten – manchmal immer noch haben. Sie hat einen Raum für sich selbst in dieser Geschichte über das Zurückziehen. All diese Figuren leiden darunter, dass man ihnen keinen Platz lässt, an dem sie sich von den anderen und ihrer Wahrnehmung lösen können – den Wunsch nach Distanz bezahlen sie mit schlechtem Gewissen, finden sich aber doch nur in den Beziehungen zu anderen wieder.
Susan Vahabzadeh, Süddeutsche Zeitung, 17.05.2010
Weil die erste Frau im Leben eines jeden Mannes immer seine Mutter ist, und ihre Geschichte im Laufe des Lebens durch all jene anderen Frauen ergänzt und weitergeschrieben wird, die er trifft und mit denen er lebt, ergaben sich in diesem Film fortlaufend Anknüpfungspunkte, auch an meine eigene Biografie und die eben jener anderen Frauen.
Michael Cunningham, der Autor des zugrundeliegenden und Pulitzer-preisgekrönten Buches, hat die Biografien von drei Frauen des 20. Jahrhunderts zu einer einzigen Geschichte verwoben. Von der schon erwähnten britischen Großautorin Virginia Woolf (Nicole Kidman), über Laura Brown (Julianne Moore) einer lesbischen Hausfrau und Mutter in den 50er Jahren, gefangen in einer spießigen bürgerlichen Vorstadt-Ehe, bis zu Clarissa Vaughan (Meryl Streep), einer offen lesbischen progressiven Literaturagentin im New York des Jahres 2001, die ihre schwer an AIDS erkrankte Jugendliebe (Ed Harris) pflegt, ergibt sich ein Handlungsfaden, so lang wie das Jahrhundert.
Sie können den Film also als Aneinanderreihung der Lebensgeschichten lesbischer Frauen sehen. Sie können aber auch einfach die gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen sehen, die sich, selbst nach einem Jahrhundert, nur sehr, sehr langsam, wenn überhaupt verändert haben. Die Sexualität dieser Frauen ist nur eine Gemeinsamkeit des Motivs. Die Geschichten gehen aber eigentlich weit darüber hinaus.
Denn die Frau, die sich um den Preis der eigenen seelischen Gesundheit mit den Konventionen arrangieren muss, mit den immerwährenden Ansprüchen anderer, zuerst der eigenen Familie, dem Mann, den Kindern, den Freunden, den Menschen die sie lieben, die gefangen ist in gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Abhängigkeit, die kennen Sie mit ziemlicher Sicherheit selbst noch gut genug. Wenn Sie nicht selbst eine sind.
Es lohnt sich eigentlich sehr, diese Bedingungen, Mechanismen und die Ursachen der Handlungen seiner Figuren zu untersuchen. Sie sind alle, auf ihre eigene Art und zu ihrer eigenen Zeit, Gefangene, die einen Ausweg suchen, ihrem ganz eigenen Gefängnis zu entkommen. Allein, mir kam es vor, als hätte es dieses Drama in den Dialogen weit weniger deutlich ausbuchstabieren müssen.
„Glaubst du, ich kann eines Tages entfliehen?“
Filmzitat
Muss das allerdings in diesem großen und buchstäblichen Jahrhundertdrama – schwanger an Gefühlen und Bedeutung in jeder Szene – auch noch musikalisch so wenig subtil vermittelt werden, dass es förmlich aus den Boxen brüllt, wie tragisch es ist, was wir gerade ohnehin sehen? Die Musik von Philip Glass – (erinnern wir uns: Oscar-Bait!) ging mir doch gehörigst „auf den Sack“… Da haben es Komponist, Regisseur und Produzenten einfach übertrieben. Am Fernseher hätte ich umgeschaltet, im Kino ging das nicht.
Von den drei Superstars einmal abgesehen, werden selbst die Nebenfiguren von überaus profilierten Darsteller:innen getragen. Der schon erwähnte Ed Harris steht hier neben John C. Reilly, der überragend verkleideten Toni Collette, Allison Janney, Claire Danes und, wenn auch nur kurz, Jeff Daniels. Jede:r von ihnen würde an anderer Stelle jeden anderen Film ganz allein tragen. Bewiesen haben sie das alle schon.
Nein, der Film ist wirklich nicht besonders gut. Erst die Mechanismen des Geschäftes haben ihn so groß gemacht, wie er wurde. Aber eben deshalb, zum Studium eben dieser Mechanismen, lohnt er sich doch sehr. Mich würde tatsächlich sehr interessieren, was wohl ein anderer Regisseur (Bille August?) oder gar eine Regisseurin aus diesem eigentlich so interessanten Buch gemacht hätte…
Inhaltswarnung: Suizid ist ein wesentlicher Teil des Motivs in diesem Film. Für sensible Personen kann er deshalb nur schwer zu ertragen sein. Wenn Sie Zweifel daran haben, ob Sie sich dem aussetzen wollen, dann sehen Sie sich den Film bitte nicht an!
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 12.05.2025.
Drama, USA, 2002, FSK: ab 12, Regie: Stephen Daldry, Drehbuch: David Hare, Produktion: Robert Fox, Scott Rudin, Musik: Philip Glass, Richard Strauss, Kamera: Seamus McGarvey, Schnitt: Peter Boyle, Mit: Nicole Kidman, Julianne Moore, Meryl Streep, Stephen Dillane, Miranda Richardson, Ed Harris, John C. Reilly, Toni Collette, Allison Janney, Claire Danes, Lyndsey Marshal, Linda Bassett, Jack Rovello, Margo Martindale, Jeff Daniels, Colin Stinton, Fediverse: @filmeundserien@a.gup.pe
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