Brad Pitt – „Sieben Jahre in Tibet“ (1997)

Anlässlich des 90. Geburtstages von Tenzin Gyatso, des 14. Dalai Lama erinnert sich auch die ZDF-Spielfilmredaktion wieder an Tibet. Doch in westlichen Filmen wird das Land dargestellt als entgrenzte Projektionsfläche für spirituelle Sehnsüchte, als Bühne für persönliche Erweckungsgeschichten. Auch Jean-Jacques Annaud bedient diese Logik mit aller grandiosen Kraft des Kinos – und scheitert gerade deshalb daran, Tibet als politischen Ort ernst zu nehmen.



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Der Film basiert auf den Memoiren von Heinrich Harrer, einem österreichischen Bergsteiger und überzeugten Nazi, der 1939 in britische Kriegsgefangenschaft gerät, aus einem Lager in Indien flieht und auf Umwegen nach Tibet gelangt. Dort lebt er von 1944 bis 1951 in der Hauptstadt Lhasa, freundet sich mit dem noch sehr jungen 14. Dalai Lama an und wird Zeuge der chinesischen Invasion. Was als Flucht vor dem Krieg beginnt, wird zur spirituellen Reise – und Harrer zum geläuterten Mann.

Doch diese Transformation hat einen Preis. Der Film erzählt nicht die Geschichte Tibets, sondern die eines Europäers, der sich durch Tibet verwandelt. Das reale Leiden der Bevölkerung wird inszenatorisch zwar angedeutet, bleibt aber exotische Bühne und wird nie konsequent in den Mittelpunkt gestellt. Es dient als Kulisse für die moralische Läuterung eines ehemaligen SS-Offiziers – dargestellt von Hollywoods Superstar Brad Pitt – dessen Vergangenheit in einer einzigen Szene fast beiläufig abgehandelt wird. Dass Harrer Teil eines verbrecherischen Regimes war, wird nicht ansatzweise reflektiert – sondern durch seine spätere Reue einfach neutralisiert.

Daß man es dabei mit historischen Details nicht so genau nimmt, sondern auf emotionsstarke Einzelschicksale setzt, ist nicht neu, aber doch immer etwas problematisch. Nach Naziklischees, Kletternostalgie und Asien-Folklore ist der Film sowieso als pathetisches Großkino vor Natur- und Historienpanorama abgehakt. Das ist nicht ganz fair, denn Regisseur Jean-Jacques Annaud gelingt es, mit den Szenen in Lhasa zu berühren. Vielleicht weil der Film hier uneitler wirkt, vielleicht weil die Geschichte dieses Landes so tragisch und die Lebensweise seiner Menschen so faszinierend ist. Und es gelingt auch durch einen Mechanismus, der so einfach zu durchschauen wie wirksam ist: Der Dalai Lama, von allen Tibetern kaum direkt angeblickt, findet in Harrer nicht nur einen Freund, sondern einen Kumpel. Und da Harrer „einer von uns Europäern“ ist, könnten wir nämlich auch Kumpel vom Dalai werden.

Matthias von Hartz, taz, 13.11.1997

Damit hat der Film die Gelegenheit verpasst, einen Zusammenhang zwischen westlicher Überheblichkeit und kolonialem Denken offenzulegen. Stattdessen reiht sich „Sieben Jahre in Tibet“ (1997) in die lange Tradition von Erzählungen ein, in denen der Westen auf ferne Länder blickt, sich von ihrer Spiritualität faszinieren lässt und darin sein eigenes Unbehagen überwindet. Tibet wird zum heilenden Gegenbild einer beschädigten Moderne – aber nicht zum Ort mit eigenen Kämpfen, Widersprüchen und Stimmen.

Dass diese Romantisierung politisch gefährlich ist, zeigt sich gerade in der Darstellung der chinesischen Invasion. Der Film positioniert sich zwar deutlich gegen die brutale Okkupation – Soldaten marschieren, Mönche werden geschlagen, eine ganze Kultur zerstört – doch bleibt die politische Analyse flach. Die jahrhundertelange Souveränität Tibets, die strukturelle Gewalt der chinesischen Assimilationspolitik, die systematische Zerstörung von Kultur und Religion werden angedeutet, aber kaum eingeordnet. Stattdessen bleibt alles in einer Erzählung gefangen, die gut und böse klar verteilt – und den Westen als Zeugen statt als Mitverantwortlichen zeigt.

Die Kamera von Robert Fraisse sucht ständig nach Schönheit: endlose Bergketten, Gebetsfahnen im Wind, leuchtende Tempel. Diese Ästhetik ist unglaublich verführerisch – aber sie erzeugt Distanz. Der Buddhismus wird nicht als komplexe Lebensweise gezeigt, sondern als elegantes Ornament. Der Film bewundert Tibet, aber er spricht nicht mit ihm. Und damit wiederholt er, was viele westliche Tibet-Erzählungen eint: Sie wollen retten, ohne vorher zuzuhören.

Dass es auch anders geht, zeigt ausgerechnet eine Nebenfigur: der junge Dalai Lama, gespielt von Jamyang Jamtsho Wangchuk, ist neugierig, reflektiert und stellt Fragen. In den Szenen mit ihm entsteht ein anderes Verhältnis – eines, in dem Wissen geteilt wird. Diese Beziehung trägt den Film über weite Strecken. Doch eingebettet in eine Struktur, in der Harrer als Mentor und Beschützer auftritt – und am Ende wieder geht.

Gerade erst vor ein paar Tagen lief Bernardo Bertoluccis „Little Buddha“ (1993) in der ARD. Das war ganz ähnlich ideologisch sensibilisiertes Kino. Das waren dieselben Fallstricke. Auch bei Bertolucci war der Osten die spirituelle Quelle, die dem Westen Rettung verheißt. Auch dort steht am Ende das weiße Subjekt im Zentrum der Transformation. Beide Filme eint die Vorstellung, dass kulturelle Begegnung vor allem dann gelingt, wenn sie zur Selbstfindung führt.

Heute lässt sich „Sieben Jahre in Tibet“ eigentlich kaum noch schauen, ohne dieses Hollywood-Muster zu erkennen. Die Geschichte eines weißen Mannes, der in einem besetzten Land Erlösung findet, ist nicht unschuldig. Dass selbst der Dalai Lama den Film mochte, dass er visuell eindrucksvoll und mit sympathischer Besetzung erzählt wird, macht ihn nicht weniger problematisch. Der Film dokumentiert einen Bruch in der Geschichte – aber er tut es aus sicherer Entfernung. Und genau darin liegt seine Schwäche.

Tibet war und ist ein Ort politischen Widerstands, kultureller Selbstbehauptung und systematischer Unterdrückung. Wer diesen Ort ins Kino bringt, trägt Verantwortung. „Sieben Jahre in Tibet“ nimmt diese Verantwortung nicht wirklich an. Der Film bleibt stehen bei der Bewunderung – aber verweigert sich der Konsequenz.

Was hätten wir nicht alles aus dem Film lernen können, wenn nicht die ergreifende Läuterung des Heinrich Harrer, sondern der Widerstand eines ganzen Volkes gegen die chinesische Unterdrückung im Zentrum dieser Geschichte gestanden hätte?

Kein Missverständnis: Der Film ist unbedingt sehenswert. Annaud ist ein ganz vorzüglicher Regisseur und der Aufwand, der getrieben wurde, die Geschichte in grandiose Bilder zu setzen ist sichtbar. Alleine dafür schon lohnt es sich. Ich wünschte mir nur, eben diese Geschichte hätte sich mehr Distanz zu Harrers Buch erlaubt.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 11.07.2025.


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Der Film enthält Darstellungen von Krieg, Folter und politischer Repression, zeigt koloniale Denkmuster und rassistische Narrative, die nicht vollständig dekonstruiert werden. Die nationalsozialistische Vergangenheit des Protagonisten bleibt unterbeleuchtet.

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„Chinas Griff nach Tibet“

China kontrolliert Tibet mit zunehmender Härte. Das geistliche Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, der Dalai Lama, musste 1959 fliehen. Seitdem wird er als Separatist gesehen, wie seine Anhängerschaft. Jetzt drohen die Jahrhunderte alte Kultur und Religion Tibets ausgelöscht zu werden. Tibet, das etwa ein Viertel des heutigen Chinas ausmacht, gehört zu den am strengsten überwachten Regionen der Welt. Freie Berichterstattung über die Situation vor Ort ist nicht möglich, Kritik an den Chinesen oder auch öffentlichen Bewunderung für den Dalai Lama undenkbar – nur wenige Tibeter:innen können das Land verlassen.

Gesbeen Mohammad – WDR Die Story – ARD-Mediathek bis 13.04.2026.



Drama, Historienfilm, USA, Großbritannien, 1997, FSK: ab 12, Regie: Jean-Jacques Annaud, Drehbuch: Becky Johnston, Produktion: Jean-Jacques Annaud, John Williams, Musik: John Williams, Kamera: Robert Fraisse, Schnitt: Noëlle Boisson, Mit: Brad Pitt, David Thewlis, BD Wong, Jamyang Jamtsho Wangchuk, Danny Denzongpa, Ingeborga Dapkūnaitė, Makoto Iwamatsu, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF



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