„In dem Film geht es um Wölfe, französische Aristokraten, Geheimgesellschaften, Irokesen-Indianer, Kampfkünste, okkulte Zeremonien, heilige Pilze, Prahlhänse, inzestuöses Verlangen, politische Unterwanderung, tierische Geister, blutige Schlachtszenen und Bordelle. Das Einzige, was man nicht tun sollte, ist, diesen Film ernst zu nehmen. Seine Wurzeln liegen in traditionellen Monster-Sex-Fantasy-Filmen mit Spezialeffekten.“, schrieb Roger Ebert.
Ich widerspreche dem amerikanischen Großkritiker nicht oft, hier aber vehement, weil ich dieses knapp 25 Jahre alte Meisterwerk für einen großartigen europäischen Fantasy-Actionfilm halte und eine Parabel auf Donald Trump, Wladimir Putin und jede:n andere:n, der/die Fake-News zur Erlangung oder Stabilisierung der Macht über ein medieninkompetentes Volk benutzt. Ich nehme und meine das vollkommen ernst!
Haben Sie Angst vorm „bösen (Wer-)Wolf“? Wenn ja, dann sind Sie wahrscheinlich Schafzüchter:in oder haben anderes „Nutzvieh“ auf Weiden am Waldrand stehen. Dann kann ich Sie durchaus verstehen, weil sie das größte europäische Raubtier als Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Interessen fürchten.
Wenn Sie aber ihr Leben in ländlicher oder städtischer Gegend verbringen, einer anderen Erwerbsarbeit nachgehen und höchstens nur mal zum Wandern oder Joggen in den Wald gehen, trotzdem aber nach jedem Medienbericht Angstattacken bekommen, weil ein wildes Tier mal wieder irgendwo von einem Auto überfahren wurde, dann sind Sie das Problem, nicht das Tier.
Hätten Sie, so wie ich, stattdessen mehr Angst vor eben diesen Autos und besonders deren unberechenbaren Fahrer:innen, dann würden Sie Ihren Kindern Horrorgeschichten von getöteten Fußgänger:innen und Radfahrer:innen erzählen, statt vorm „bösen Wolf“, da bin ich sicher!
Doch die Angst vor dem Wolf liegt tief in uns verankert. Selbst im 21. Jahrhundert gewinnen, vor allem im ländlichen Raum, eher die Politiker:innen einen beliebigen Wahlkampf, die freie Jagt auf Wölfe fordern, statt jener, die für Tempo 30 in den Dörfern und Städten kämpfen. Diese Ur-Angst ist mächtig. Und wenn Menschen Angst haben, dann wissen die Mächtigen sich diese Angst nutzbar zu machen. Denn sie ist systemstabilisierend, mag der Preis für Sicherheit auch die individuelle Freiheit sein.
„Wissen macht die Menschen blind und irre. Es kann ihr Herz verschlingen und sie in eine Bestie verwandeln.“
Filmzitat
Roger Ebert hat nicht etwa einen anderen Film gesehen. Er sah ihn nur zu einer Zeit (noch vor dem 11. September 2001), in welcher der „Westen“ sich selbst genügend komfortabel in einer historischen Blase existierte, in der „das Ende der Geschichte“ angeblich erreicht war, weil endlich alle Menschen Zugang zu einem McDonalds und IKEA hatten. Dann flogen die Flugzeuge in die Türme in New York und eine andere Geschichte nahm ihren Lauf.
Weltliche Macht, existiert noch heute, aber nicht mehr zwingend, ganz oft im Einklang mit Religion. Das war früher einmal andersherum und ist heute in vielen Staaten der Welt schon wieder so. Da konnte weltliche Macht überhaupt nur erlangen, wer den Segen der Religionsführer (immer Männer) hatte. Erst die Revolution in Frankreich hat diese Macht neu verteilt.
Und damit sind wir endlich bei dem „Pakt der Wölfe“, der uns mitten in eben dieses vorrevolutionäre Frankreich schickt. Genauer: in das „Gévaudan“, also mitten in die dunklen Wälder des „Massif central“. Dort, wo die Zeit langsamer fortschreitet, die Nachrichten noch Mund-zu-Mund verbreitet werden und der Adel vom lokalen Klerus noch volle Deckung hat (und umgekehrt natürlich genau so).
Unvorstellbar, wie wohl ein deutscher Film dieses Setting aufbereitet hätte. Ich hätte furchtbares geahnt und wohl nur zögerlich eingeschaltet.
Selbst für das französische und europäische Kino war der Film alle Maßstäbe sprengend. Denn Kamera, Spezialeffekte und – vor allem anderen – die Action in der allerbesten Tradition des internationalen Martial-Art-Cinemas, haben wir dort vorher kaum gekannt. Und da alles noch mit historischen Fakten (nach einer „wahren Geschichte“) und etwas Exotismus (ein amerikanischer Irokese in der französischen Provinz) angereichert wurde, hat der Film nicht nur die französischen Kinokassen gefüllt, sondern sogar in den USA für Furore gesorgt.
Nun nehmen Sie das, was Sie sehen, und transferieren Sie die Geschichte in die Gegenwart. Ersetzen Sie „den Wolf“ etwa durch Menschen, die nicht so aussehen wie Sie. Menschen, die angeblich Ihre Haustiere essen oder ihnen Ihre Zahnarzttermine wegnehmen. Dann haben Sie die Mechanismen der „Fake-News“ als Instrument zur Macht(Ergreifung) eigentlich schon entschlüsselt.
„Lügen erscheinen bisweilen als Wahrheit, wenn man sie erst zu Papier bringt.“
Filmzitat
Im Film ist es ein hinreichend gutaussehender Wissenschaftler. Einer der sein Heimatland schonmal verlassen und unter fremden Menschen gelebt und allerlei exotisches Getier gesehen hat, welcher den Kampf mit der „Bestie“ – und den Machthabern – aufnimmt. Einer, der Bücher und für Zeitungen („Journale“) schreibt. Ein Wissenschaftsjournalist! Ha!
Spektakuläre Kampfszenen (Schnitt: David Wu), die wir in Europa bis dahin so noch nie gesehen haben, ebensolche Spezialeffekte, ein tolles Wolfsrudel und natürlich hinreißende Darsteller:innen (Monica Bellucci, Vincent Cassel, Samuel Le Bihan), das alles mag inzwischen internationaler Standard sein, vor 25 Jahren allerdings, war diese Kombination ziemlich unerhört. Das haben sie auch in Cannes so gesehen.
Mir mag die professionelle Distanz zum Objekt meiner Betrachtung fehlen. Doch ich genieße das sehr. Da kann und will ich dem Giganten der Filmkritik Ebert auch gar nicht widersprechen. Wir haben zwar den gleichen Film gesehen. Aber eben nicht denselben.
Wie der Film ausgeht, wissen Sie schon. Am Ende ist Revolution.
Die Aufklärung gewinnt!
Dieser Beitrag erschien zuerst am 21.03.2025. Permalink: https://nexxtpress.de/b/bM1
Fantasy-Action, Frankreich, 2001, FSK: ab 16, Regie: Christophe Gans, Drehbuch: Stéphane Cabel, Christophe Gans, Produktion: Richard Granpierre, Samuel Hadida, Musik: Joseph LoDuca, Kamera: Dan Laustsen, Schnitt: Xavier Loutreuil, Sébastien Prangère, David Wu, Mit: Samuel Le Bihan, Vincent Cassel, Émilie Dequenne, Monica Bellucci, Jérémie Renier, Mark Dacascos, Jean Yanne, Édith Scob, Jean-François Stévenin, Jacques Perrin, Johan Leysen, Bernard Farcy, Hans Meyer, Virginie Darmon, Philippe Nahon, Eric Prat, Jean-Loup Wolff, Bernard Fresson, Vincent Cespedes, Juliette Lamboley, Gaspard Ulliel, François Hadji-Lazaro, Fediverse: @filmeundserien@a.gup.pe
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