Quentin Tarantino – „Once Upon a Time in… Hollywood“ (2019)

Ein Märchen, das mit den Mythen der amerikanischen Filmgeschichte spielt, dabei aber nie ganz vergisst, wer am Erzählpult sitzt: Quentin Tarantino, Regisseur mit Stil, cineastischer Besessenheit und einem Hang zur Selbstinszenierung. Der Film ist nicht nur eine Hommage an das Hollywood der späten 1960er Jahre, sondern auch ein Abgesang auf eine Ära, die ihre Machtstrukturen – vor und hinter der Kamera – selten infrage stellte.



Hier wurde ein Video von Youtube, einer Plattform von Alphabet (Google) eingebunden. Der Inhalt wird nur geladen, wenn sie zuvor einer Übertragung ihrer persönlichen Daten (ua. ihrer IP-Adresse) an die Plattform zustimmen. Klicken Sie auf dieses Cover, um den Inhalt anzuzeigen.

Erfahren Sie mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Und so sitze ich, sechs Jahre nach der ersten Sichtung, wieder davor und frage mich: Wie gehe ich mit diesem Werk um, das mich gleichzeitig ästhetisch überwältigt und inhaltlich jede Menge Fragen offenlässt?

Leonardo DiCaprio spielt Rick Dalton, einen in die Jahre gekommenen Fernsehstar, der sich in einer sich wandelnden Branche neu orientieren muss. Brad Pitt ist Cliff Booth, sein Stuntdouble, Fahrer, Mädchen für alles – eine stille, körperlich präsente Figur, die viel mit sich herumschleppt, ohne es je laut auszusprechen.

Once Upon a Time in Hollywood ist ein irre gut aussehendes Buddy-Movie in analog gebauter Kulisse. In den Multiplexen wird der Film zwischen den ewig gleich hirnrissigen, überflüssigen, seriell unoriginellen Superhelden-Blockbustern und Animationsfilmen für Kinder und andere Nichterwachsene wie eine absurde Rarität wirken: ein handgemachter (puh!), sauteurer Halbkunstfilm. Was ihn noch nicht zu einem guten macht.

„Der Gute altert“, von Dirk Peitz, Die Zeit, 15.08.2019

DiCaprio zeigt in seiner Rolle eine beeindruckende Bandbreite, oszillierend zwischen verletzlicher Unsicherheit und toxischer Selbstbehauptung. Pitt wiederum verkörpert eine fast mythologische Coolness, die sich durch keine Krise erschüttern lässt. Und dann gibt es zwischendurch noch Al Pacino, in einer kleinen, aber feinen Rolle als Agent Marvin Schwarz, dessen Auftritt vor allem darin besteht, Rick Dalton die Scham des Altwerdens ins Gesicht zu sagen – ein Dialog, der mehr über die Machtverhältnisse in Hollywood verrät, als jede Metaebene es könnte.

Dass Tarantino mit „Once Upon a Time in… Hollywood“ (2019) ein nostalgisch verklärtes Porträt jener Ära zeichnet, überrascht nur noch wenig. Seine Liebe zum Kino der 60er und 70er ist bekannt – ebenso wie seine Vorliebe für Männerfiguren, die Gewalt mit Ehre und Loyalität rechtfertigen. Der Film ist in diesem Sinne fast ein Museum – voller Detailverliebtheit, Requisiten, Radiomusik, alten Filmplakaten, ikonischen Sets.

Doch für Frauen wird es eng, in diesem Museum. Margot Robbie als Sharon Tate, deren Ermordung durch die sogenannte „Manson Family“ im kollektiven Gedächtnis Amerikas tief verankert ist, bekommt nur wenig Dialog, viel Oberfläche und kaum Handlungsmacht. Robbie spielt sie mit einer fast überirdischen Sanftheit, einer Art sonniger Naivität, die nicht nur historisch zweifelhaft ist, sondern auch dramaturgisch echt fragwürdig.

Ich frage mich: Warum ist Tate in diesem Film eigentlich dabei? Ihre Szenen zeigen sie beim Tanzen, beim Einkaufen, im Kino – oft ohne Bezug zur Hauptgeschichte, selten mit innerem Leben. Es wirkt, als würde Tarantino nicht die Frau selbst zeigen wollen, sondern die Vorstellung von ihr: das blonde Ideal, das tragische Symbol, die Unschuld, die brutal zerstört wurde. Dass er ihr in seinem Märchen ein alternatives Ende schenkt, kann als Akt der Wiedergutmachung gelesen werden – aber auch als symbolische Auslöschung realer Gewalt. Das hatten wir schon, als er Adolf Hitler erschießen ließ und Django die Sklaven befreite. Doch die reale Sharon Tate hatte ein Leben, Träume, Ängste, Ambitionen. Der Film interessiert sich dafür nicht die Spur.

Es ist ja keine neue Kritik an Tarantino, dass seine Frauenfiguren oft Projektionen bleiben. Natürlich: „Kill Bill“ (2003/04) (Blog) war ein feministisches Racheepos, „Jackie Brown“ (1997) (Blog) eine seltene Ausnahme und, ja, mein Lieblings-Tarantino. Aber in „Once Upon a Time in… Hollywood“ kehren wir zurück zur männlichen Perspektive als Zentrum der Erzählung. Die Frauen dürfen wieder schön sein, zart, sexy oder verrückt – wie die jungen Frauen der Manson-Sekte, deren Bedrohlichkeit gerade dadurch funktioniert, dass sie so körperlich inszeniert sind. Tarantino zeigt sie mit einem Blick, der gleichermaßen sexualisiert wie dämonisiert – eine Kombination, die schon im Horrorkino der 70er zur Standarderzählung wurde.

Dabei ist der Film nicht einfach frauenfeindlich – so platt würde ich es nicht sagen. Eigentlich ist er fast langweilig. Er ist symptomatisch für eine nostalgische Rückschau, die strukturelle Machtverhältnisse reproduziert, statt sie zu hinterfragen. Es ist ein Film von gestern über ein Vorgestern, das sich weigert, aus der Distanz und mit dem, was wir heute wissen, betrachtet zu werden.

Und dennoch: Ich kann mich seiner Faszination nicht entziehen. Die Kameraarbeit von Robert Richardson ist hypnotisch, das Set-Design wirklich überlegen-makellos. Jede Szene wirkt wie ein sorgfältig komponiertes Bild – und wenn Rick Dalton seine schauspielerische Krise mit einem dramatischen Take auflöst, spüre ich fast körperlich, wie viel Kraft und Schmerz in dieser Performance liegt.

Es wäre zu einfach, Tarantino diesen Film vorzuwerfen. Denn „Once Upon a Time in… Hollywood“ ist auch ein Spiegel – für sein Publikum, für die Sehnsucht nach „den guten alten Zeiten“, nach Brad Pitt ohne Unterhemd (Blog), nach dem trügerischen Sicherheitsgefühl, das unsere Nostalgie uns bietet. Wir lieben die Vorstellung von Hollywood als Ort der Träume, der Geschichten, der Stars. Aber was bedeutet es, wenn diese Träume nur ganz wenigen gehören? Wenn sie aus der Perspektive weißer Männer erzählt werden, die um ihr Überleben kämpfen, während andere – Frauen, People of Color, queere Figuren – kaum existieren oder nur an den Rändern des Bildes existieren?

Was bleibt? Für mich ist der Film ein zweischneidiges Schwert. Ich erkenne seine Brillanz, seine fast meditative Ruhe, seine Momente echter Tiefe. Ich sehe aber auch die Leerstelle, die da entsteht, wo komplexe Figuren gebraucht würden. Ich hätte mir mehr Mut gewünscht, zur Irritation, zur echten Dekonstruktion des Mythos Hollywood.

Wer anders als Tarantino hätte denn dazu die Macht gehabt? Stattdessen hat er uns ein Märchen erzählt, das in Schönheit und Männlichkeit badet, während es vorgibt, die Geschichte umzuschreiben.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 22.06.2025.


Inhaltswarnung: Der Film enthält explizite Darstellungen von Gewalt, insbesondere gegen Frauen, sowie bedrohliche Szenen mit psychologischer Spannung. Der Film thematisiert auf fiktionalisierte Weise reale Ereignisse rund um die Morde der sogenannten „Manson Family“ und kann retraumatisierend wirken für Zuschauer:innen, die sensibel auf Darstellungen sexualisierter Gewalt, toxischer Männlichkeit oder physischer Brutalität reagieren. Auch die Darstellung historischer Personen und Gewaltverläufe wurde künstlerisch verändert, was als verstörend oder respektlos empfunden werden kann.



Krimi, Drama, USA, 2019, FSK: ab 16, Regie: Quentin Tarantino, Drehbuch: Quentin Tarantino, Produktion: Quentin Tarantino, David Heyman, Shannon McIntosh, Kamera: Robert Richardson, Schnitt: Fred Raskin, Mit: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Emile Hirsch, Margaret Qualley, Timothy Olyphant, Luke Perry, Dakota Fanning, Austin Butler, Bruce Dern, Al Pacino, Julia Butters, Mike Moh, Nicholas Hammond, Kurt Russell, Lorenza Izzo, Mikey Madison, Madisen Beaty, Maya Hawke, Damon Herriman, Lena Dunham, Victoria Pedretti, Rafał Zawierucha, Costa Ronin, Sydney Sweeney, Samantha Robinson, Damian Lewis, Rachel Redleaf, Rebecca Rittenhouse, Rumer Willis, Dreama Walker, Zoë Bell, Spencer Garrett, Scoot McNairy, Omar Doom, Clifton Collins Jr., Michael Madsen, James Remar, Martin Kove, Clu Gulager, Brenda Vaccaro, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF



Reaktionen:

Wie bewerten Sie diesen Film / diese Serie?

Dieser Film / diese Serie wurde 1x im Durchschnitt mit 4 bewertet.

Bisher keine Bewertungen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie können diesen Beitrag auch über das Fediverse (zum Beispiel mit einem Konto auf einem Mastodon-Server) kommentieren.