Die Woche (15/2024)

Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Deshalb galt diese Woche, mehr als je zuvor: „Vive la France!“ Denn was ARTE und der Bayerische Rundfunk uns angeboten haben, ließ den Eindruck entstehen, sie hätten sich gegen die kulturelle Dominanz Hollywoods verbündet. Dass eine kleine TV-Serie den Marxismus in das Unterhaltungsfernsehen einführen sollte, hat diesen Autor überaus glücklich gemacht…
Bild: NexxtPress / Stable Diffusion AI

Über die Zukunft des öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunks macht sich eine ganz spezielle Branche von Medienjournalist:innen, Wissenschaftler:innen und Politiker:innen so viele Gedanken, dass es regelmäßig ganze Publikationen füllt. In dem Zusammenhang orientiere ich mich zum Beispiel am täglichen @altpapier, einer täglichen Kolumne die als Blog und Newsletter beim Mitteldeutschen Rundfunk erscheint. Regelmäßig thematisieren die Autor:innen dort auch den Gegenstand dieses Blogs – die ÖRR Mediatheken – und weisen immer Mal wieder auch auf relevante Highlights hin.

Von dem dieswöchigen koordinierten Angriff auf unsere Sehgewohnheiten war auch dort allerdings rein gar nichts zu lesen. Da habe ich die Konspiration wohl wieder exklusiv aufgedeckt. Und kaum einer hat es gelesen. Doch immerhin Sie, meine treuen Leser:innen, haben wieder einen Beweis dafür.

„Bitte empfehlen Sie uns weiter!


Wolfgang Menge – Das Millionenspiel (1970) – ARD – bis 08.07.2024

Bevor wir zu den revolutionären französischen TV & Film Produktionen kommen, die eingangs schon erwähnt wurden, ist es dienlich, sich noch einmal in die sehr deutsche Fernsehgeschichte zu vertiefen. Eine Geschichte, die wohl ohne Wolfgang Menge erheblich anders verlaufen wäre – und möglicherweise auch zu einem ganz anderen Rundfunk und Fernsehen geführt haben könnte, wenn er uns nicht zu seiner Zeit so sehr einen Spiegel vorgehalten hätte.

Dieser Film des WDR ist auch ein gesellschaftliches Vermächtnis an uns. Denn um eine Gesellschaft zu verändern, müssen wir zuvor verstehen, wie sie funktioniert. Und dafür könnte diese bedrückende Dystopie aus einer Zeit, in der bei uns zu Hause das Fernsehen noch schwarz/weiß gewesen ist – und es nicht mehr als drei Programme gab – noch immer gute Dienste leisten.


Machine – Die Kämpferin (2023) – ARTE – bis 17.05.2024

Thomas Bidegain, Fred Grivois und Valentine Monteil – merken Sie sich diese Namen. Denn diese drei Autor:innen waren dafür verantwortlich, dass ich seit ganz langer Zeit einmal wieder eine ganze (6-teilige) Serie im Binge-Watching gesehen habe. Und diese viereinhalb Stunden haben mich nicht nur gefesselt, sondern auch intellektuell überaus glücklich gemacht.

„Mein Rat an die Jugend: Lest Karl Marx“ – hat Emmanuel Macron im Jahr 2018 empfohlen. Das haben Bidegain, Grivois und Monteil sich zu Herzen genommen und für ARTE eine TV-Serie gemacht, die mir revolutionäre Gefühle und den Glauben an ein besseres Fernsehen zurückgebracht haben.

Was mich auch unglaublich glücklich gemacht hat, ist die Tatsache, dass dieser kleine Hinweis inzwischen, nach nur vier Tagen, der mit Abstand jemals am meisten geklickte Beitrag in diesem Blog ist. Es gibt also ein gesellschaftliches Bedürfnis nach dieser Art Fernsehen und intelligenter Unterhaltung.

Nun liegt es an ihnen! Schauen Sie sich das an. Die Lebenszeit bekommen sie zwar nicht zurück, doch wenn Sie meinen vollkommen subjektiven Empfehlungen folgen, dann haben Sie immerhin jemanden, der Schuld daran ist, wenn Sie deshalb morgen möglicherweise zu spät zur Arbeit kommen.

Sie haben schließlich auch nichts zu verlieren, außer ihren Ketten…

„Vive La France!“


Martin Wuttke – Heute stirbt hier Kainer (2021) – ARD – bis 12.04.2025

Diesen Film sollten sie sich nicht ansehen, wenn absurde Geschichten, Figuren, Schießereien oder ebenso überzeichnete Gewalt ein Problem für sie sind. Also etwa das, was sie aus Western kennen – oder neuen Versionen der ganz alten Geschichte: „Kommt ein Fremder in ein Dorf. Am Ende sind die Bösen tot“. Was für eine Freude.

Bei Martin Wuttke bin ich ziemlich sicher, dass wir im Kampf um ein besseres Fernsehen auf ihn als Verbündeten zählen können. Bei Michael Proehl war ich ebenfalls schon vor diesem Film sicher, ist er doch einer der besten TV-Autoren, den wir haben. Über Maria-Anna Westholzer freue ich mich unendlich. Denn ihr Debüt mit „Kainer“ war so grandios, da freue ich mich auf alles, was noch kommen möge…


Engelke, Hübner – Einmal Hallig und zurück (2015) – ARD – 13.07.2024

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen, hier handelt es sich keinesfalls um revolutionäres Fernsehen, sondern um ein Guilty-Pleasure meinerseits. Eine deutsche (romantische) Komödie. Die Geschichte ist, na ja, holperig, die Klischees reichlich. Nicht alle Gags landen. Doch die Landschaft und das Traumpaar Engelke/Hübner machen die Schwächen wett. In Nordfriesland ist ja sowieso alles, was schief ist, in dieselbe Richtung gewachsen.

Dafür bekommen wir einige wunderbare Dialoge und physische Komik, die in einer guten Screwball-Comedy einfach wichtiger sind als der Plot. Besonders weil Hübner und Engelke sich so gut kannten und blind verstanden haben, ist ihr Zusammenspiel der spektakulär beste Grund hier einzuschalten.

Traumpaar!


Jean Reno – 22 Bullets (2010) – ARD – bis 12.05.2024

„L’Immortel“ – „Der Unsterbliche“ so lautet der französische Originaltitel dieser großen Mafia-Oper mit Jean Reno. Ich habe den Film heute zum ersten Mal gesehen. Und jetzt muss ich mich erst einmal sammeln. Denn er überwältigt. Er ist so traditionell, wie modern. Schnelles, moralisches und äußerst brutales Action-Kino aus Frankreich. „Große Oper!“

Zu meiner Zeit (in den Achtzigern) waren Jean Reno und Luc Besson (hier einer der Produzenten) ein revolutionäres Gespann im Kino. Seither gehören ihre Filme zum Besten, nicht nur aus Frankreich oder Europa. Dieser Film ist auch ein Testament dafür. Sie können es noch immer!

„Vive La France!“

Content Warnung: Dieser Film ist freigegeben ab 18! Auch die gekürzte FSK16 Fassung enthält grafische Gewaltdarstellungen, die sie verstören könnten!


Vincent Cassel – Public Enemy No. 1 (2008) – ARD – bis 11.05.2024

Auch das hier ist ein besonderes Stück. Nicht weil es gleich noch eine ziemlich brutale globale Schießerei und Schlägerei, noch ein vierstündiger französischer Polit-Terror-Actionreißer in zwei Teilen ist, sondern weil so etwas in der ARD Mediathek eigentlich noch seltener ist, als ein gegenderter Witz von Dieter Nuhr. Lautes, schnelles, schmutziges Kino! Eine Gangster-Ballade nach realen Begebenheiten.

Filme formen unser kollektives Gedächtnis. So auch für mich. Mesrine war auch in Deutschland bekannt. Ich war zwar noch jung, doch mindestens seine Festnahme in aller Öffentlichkeit hat es bei uns sogar in die Tagesschau und auf die Titelseiten geschafft. Daran erinnere ich mich. – Hier weiterzuerzählen wäre allerdings ein Spoiler für jene, die sich nicht erinnern können und die den Film als das erleben wollen, was er auch ist: ein grandioses internationales Action-Film-Kunstwerk europäischer Herkunft. (Der zweite Teil erscheint nächste Woche!)

„Vive La France!“

Content Warnung: Dieser Film ist freigegeben ab 18! Auch die gekürzte FSK16 Fassung enthält grafische Gewaltdarstellungen, die sie verstören könnten!


Was bleibt mir als Fazit? In jedem Falle der Dank an die „Grande Nation“ für ihre – noch immer – führende Kinokultur in Europa. Dass wir ähnliches auch über TV-Serien sagen können, ist dank ARTE auch längst kein Geheimnis mehr. Dass ich darüber so glücklich würde sein können, überrascht mich doch. Und auch in Deutschland gibt es genug Kreative, brillante Köpfe und Mut. Besseres Fernsehen ist möglich!

Wir müssen uns nur trauen.


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